Tom Kindt

Karl Eibl

Von den szientistischen Rothäuten und der schöngeistigen Wagenburg

Gerne folge ich der Aufforderung, zu Frank Kelleters Kritik an den ›neo-naturalistischen‹ Tendenzen in der Literaturwissenschaft Stellung zu nehmen. [1] Es ist ein seltener Fall, dass solche Kritik in expliziter, argumentativer Form geäußert wird. Kelleter verzichtet ausdrücklich auf die beliebte Standardformel vom ›Reduktionismus‹ (»for any academic way of knowing a literary text is in this sense ›reductive‹«, 163), und auch das Joker-Argument: ›Ist ja alles kulturelle Konstruktion‹ taucht zumindest nicht in seiner kruden Form auf. In manchen Kritikpunkten bin ich ohnehin mit ihm einer Meinung. Umso betrüblicher ist es, dass er fast ausschließlich destruktive Kritik übt und dem ›Neo-Naturalismus‹ keine Chance lässt. Dadurch erhalten seine »worried reflections« bei aller Kultiviertheit des Stils insgesamt den Charakter einer Schmähschrift.

Auf entsprechende textsortentypische Eigenheiten werde ich nur exemplarisch eingehen – Kelleter misst die Leistungen an einigen großsprecherischen Verlautbarungen, da kann der ›proof of the pudding‹ nur kärglich ausfallen, und den ›Pudding‹ selbst zitiert er in gezielt denunziatorischer Auswahl und Kommentierung. Geschenkt. Gewisse Schwierigkeiten macht es mir allerdings, dass er im Topf des ›Neo-Naturalismus‹ recht vieles zusammenfasst. Nicht nur von neurowissenschaftlichen und darwinistischen Ansätzen ist da in einem Atemzug die Rede, sondern auch von der ›Empirischen Literaturwissenschaft‹, von den Kognitionswissenschaften, und als Deckel auf dem Topf führt er mit E. O. Wilson und Steven Weinberg auch noch Visionäre in der Haeckel-Tradition auf, so dass ich mich plötzlich als Mitglied einer kompakten ideologischen Vereinigung wiederfinde. Kelleter folgt mit dieser Bildung eines Konsens des Bösen der bekannten geisteswissenschaftlichen Wagenburg-Strategie: Was ›draußen‹ durch die Prärie prescht oder auch nur am Lagerfeuer (oder sogar in Ministerien) sitzt, das sind die wilden Rothäute der ›third culture‹, da lohnt es nicht, zwischen Apachen, Ogalala und Winnebago zu unterscheiden. Wenn man schießt, wird man schon einen treffen (das unermüdliche ›Neo-‹ sorgt ohnedies dafür, dass man es mit lauter Zombies zu tun hat). Anderseits haben die wissenschaftlichen Programme, die da zusammengespannt werden, doch einige Berührungs- und Ergänzungspunkte, und da ich mir selbst gelegentlich die Bequemlichkeit leiste, die Leute in der Wagenburg pauschal als Neo-Idealisten zu bezeichnen, will ich das sportlich nehmen und damit zurechtzukommen versuchen. Überdies glaube ich tatsächlich, dass alle Wissenschaften (außer der Theologie) sich von der heuristischen Hypothese leiten lassen sollten, dass in dieser Welt alles mit natürlichen Dingen zugeht, bin insofern also wohl wirklich ›Naturalist‹.

Schließlich noch vorweg: Nicht auf allen von Kelleter so großzügig bestrichenen Gebieten bin ich hinreichend kompetent für eine fundierte Stellungnahme. Außerdem kann ich mich nicht für Positionen nur deshalb stark machen, weil ich mit ihnen in einen Topf geworfen werde. Auch bei dem Ansatz, dem ich selbst am meisten zuneige und von dem ich etwas zu verstehen glaube, dem evolutionstheoretischen, gibt es eine Variante, der ich mehr, und eine, der ich weniger Kredit gebe. Die Auswahl der Punkte, zu denen ich etwas sage, wird also nicht allein von ihrer Relevanz, sondern auch von meiner beschränkten Kompetenz und meinen speziellen Präferenzen bestimmt sein.

1.

Ich beginne mit der Empirischen Literaturwissenschaft. Es gibt sie nun seit drei Jahrzehnten, und zwar in (mindestens) zwei Varianten, der radikal-konstruktivistischen Variante, für die Siegfried J. Schmidt steht, und der im engeren Sinn empirischen Variante, die sich mit dem Namen von Norbert Groeben verbindet. Wahrscheinlich hat Kelleter die zweite im Sinn, d.h. eine Literaturwissenschaft, die sich des methodischen Instrumentariums der empirischen Psychologie und der empirischen Sozialwissenschaften bedient und auch sonst deren Wissenschaftsbegriff teilt. Idealerweise haben empirische Prozeduren hier den Charakter von Experimenta crucis für vorgängige Theorieentwürfe, und wie in den Mutterdisziplinen hängt natürlich alles davon ab, ob die Theorien einiges Niveau haben und wie angemessen die Operationalisierungen sind. Da hapert es gelegentlich, aber es soll ja auch Hermeneutiker geben, die plattes Zeug reden. Nur fällt das weniger auf, weil sie nicht so deutlich zu sein brauchen wie die ›Empiriker‹. Eher von grundsätzlicher Bedeutung ist die Neigung mancher ›Empiriker‹, empirische Prüfungen auf statistische Tests einzuschränken. Da kann ich Kelleters Vorbehalte teilen, denn es gab und gibt gediegene empirische Philologie und Geschichtswissenschaft, die ohne statistische Prozeduren auskommt.

Noch etwas prinzipieller scheint die Frage nach dem Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem zu sein. Auch hier kann ich Kelleter zustimmen, wenn er Wissenschaft nicht auf ein ausschließliches Interesse am Allgemeinen verpflichtet sehen will, wie er es bei Vertretern der Empirischen Literaturwissenschaft diagnostiziert. Man müsste dann nicht nur alle historischen Wissenschaften, sondern auch die Geographie oder die Biologie oder die Astronomie aus dem Kreis der Wissenschaften ausschließen. Aber das ist eine falsche Alternative. Die Terme ›Allgemeines‹ und ›Besonderes‹ sind ja keine kontradiktorischen, sondern graduelle Antonyme (nicht wie ›tot‹ und ›lebendig‹, sondern wie ›warm‹ und ›kalt‹). Selbst anthropologische Universalien sind von der anderen Seite gesehen wieder Besonderheiten, nämlich speziell der Menschen, und als solche erklärungsbedürftig. Und umgekehrt: Wenn wir als Historiker das Besondere erklären, subsumieren wir es immer unter allgemeinere Annahmen; andernfalls könnten wir keine Begriffe verwenden und hätten es mit lauter Wundern zu tun. Selbst wer nur an Einzelinterpretationen interessiert ist (und sich dabei nicht auf bloße Anbetung beschränkt), benutzt fortwährend allgemeinere Hypothesen und sollte diese nicht nur stillschweigend voraussetzen, sondern explizit machen und möglichst genau prüfen.

Kelleter scheint solche Überprüfungen generell gering zu schätzen, denn sonst würde er nicht die ›neo-naturalistischen‹ Erklärungsversuche pauschal in eine Reihe mit Psychoanalyse, Poststrukturalismus, Marxismus stellen – also mit Supertheorien, die sich entweder gegen Prüfungen immunisiert oder diese nicht bestanden haben. »It is no argument against these comparisons that Darwinism is a scientific theory, while psychoanalysis and Marxism are only superstitions, because this is what competing universals always claim about each other.« (185) Wie kommt es zu solchem Theorienrelativismus (dem man noch den Kreationismus, die Schöpfungsmythen der Maya usw. hinzufügen könnte)? Die genannten »master narratives« (171) haben tatsächlich etwas gemeinsam: Man kann sie benutzen, um singuläre Sachverhalte zu erklären. Und jede Erklärung ist natürlich ein interner Bestätigungsfall der dafür verwendeten Theorie, selbst wenn die Theorie ganz falsch ist. Aber die Wagenburg-Bewohnern übersehen oder unterschätzen regelmäßig den gravierenden Unterschied, der wissenschaftliche Theorien vor anderen ›Konstruktionen‹ auszeichnet, nämlich dass sie nicht nur zu Erklärungen herangezogen werden, sondern dass ganze Fakultäten damit beschäftigt sind, sie zu prüfen, sie zu widerlegen oder zu modifizieren, und zwar ziemlich erfolgreich. Es ist das Prinzip der kritischen Prüfung, das die Erfahrungswissenschaften auszeichnet. Eine Arbeit aus dem Kreis um Willie van Peer (den Kelleter besonders ins Visier nimmt) zeigt, dass sich auch die Prüfung einfacherer Hypothesen (Vorurteile) lohnen könnte. Es handelt sich um eine Dissertation, die mit statistischen Mitteln die Korrelation von literarischer Lektüre und emotionaler Intelligenz ermittelt (Tsiknaki 2005). Prognostiziert worden war natürlich eine positive Korrelation; denn Leser sind, wie wir alle wissen, die besseren Menschen. Es stellt sich aber heraus, dass es eine solche Korrelation nicht gibt, sondern eher eine kleine, wenngleich nicht signifikante umgekehrte. Aber ein weiterer Befund ist eindeutig und steht in striktem Widerspruch zu unseren Intuitionen: Naturwissenschaftler haben eine deutlich höhere emotionale Intelligenz als Geisteswissenschaftler! – Es wäre vielleicht gut, solche Befunde zur Kenntnis zu nehmen, und sei es nur, um sie ordentlich zu widerlegen. Bloßes konsensuelles Naserümpfen ist keine Widerlegung. Als ich Willie van Peer die genannten Ergebnisse einmal in der Wagenburg vortragen hörte (in einer Klausur, bei der man nicht einfach davonlaufen kann), machte sich nur eine recht gereizte Stimmung breit ...

Zum kognitionswissenschaftlichen Ansatz. Diese Rothäute sind nun freilich ihrerseits so bunt zusammengewürfelt, dass eine pauschale Behandlung nur dem Gegner möglich ist. Die Spanne reicht von den eher der analytischen Philosophie verschriebenen Aprioristen bis zu den eher evolutionär orientierten Empiristen. Ich selbst bin der Auffassung, dass eine Kognitionswissenschaft ohne evolutionäre Komponente einäugig ist. Sie ist immer in der Gefahr, zur selbstgenügsamen Modellbastelstube zu werden, und sollte durch die evolutionäre Perspektive empirisch ›geerdet‹ und mit einer Instanz der ›Kontrollpeilung‹ (Popper 1973, 56) – einer zweiten, von der ersten unabhängigen ›Messung‹ – versehen werden. Um eine Unterscheidung des alten Christian Wolff zu bemühen: Zur »nuda notitia facti« sollte das »perspicere rationem facti« hinzukommen, das die »notitia facti« beglaubigen oder korrigieren kann. [2] Dazu noch etwas im nächsten Abschnitt.

Ich beschränke mich hier auf ein paar Vermutungen über die Position Kelleters. Kelleter meint, »a déjà vu can hardly be avoided«, wenn er da von »foregrounding« und »deviation« liest (147). Na und? Warum will er’s denn vermeiden? Für mich jedenfalls ist es immer ein Hinweis auf die Qualität eines Ansatzes – auch hier im Sinne einer Kontrollpeilung –, wenn man mit ihm auch auf bewährtes Altes stößt. [3] Kein ernst zu nehmender literaturwissenschaftlicher Kognitivist wird überdies leugnen, dass Victor Šklovskij oder Roman Jakobson oder Jan Mukařovský zu seinen Ahnen zählen. (Allerdings wird er sie in der Regel nicht mit Heidegger oder Derrida verschneiden wollen.) Kelleter meint, »there is little accomplished by cognitive poetics that could not be accomplished with more traditional formalist or narratological tools as well.« (156) Das »little« wäre ja vielleicht interessant. Aber Kelleter will die innovativen Elemente nur pauschal als »face-lift“ (ibid.) wahrnehmen, und das legt die Vermutung nahe, dass der mögliche Wissenszuwachs ihn einfach nicht interessiert. Das ist natürlich sein gutes Recht, aber hier wie an anderen Stellen überschreitet er die Grenze vom subjektiven ›interessiert mich nicht‹ zum objektivistischen ›ist nicht interessant‹.

Das gilt auch für die Behandlung des Programms einer »study of literary reading« (Stockwell 2002, 165). Das Projekt einer Leseforschung sei zwar realisierbar (»faisable«). »But how interesting – how relevant – are its results? And for whom?« (165) Für mich schon, für Kelleter anscheinend nicht. – Warum vertritt Kelleter sein Desinteresse so offensiv? Er fragt:

What do we study when we study »ordinary« readings? Should we, as students of literature, aspire to become ordinary readers (again?)––or on the contrary seek to educate ourselves and other ordinary readers to have a better informed understanding of literature, to become more competent readers? Is there something wrong with the fact that academic readings (i.e. readings sensitive to textual structures and historical contexts) differ from the readings of »the majority«? Would we want to make the same democratizing claims for our knowledge of history, economics, nuclear physics? (165; Hervorhebungen im Original)

Was für eine Konfusion von Sein und Sollen! Sieht Kelleter seine eigene Lektürehaltung wirklich durch Gleichmacherei bedroht, wenn man die Lektürehaltung des Pöbels zur Kenntnis nimmt? Wer um Himmels willen fordert denn von ihm, zu lesen wie Hinz und Kunz? (Und wie will er Hinz und Kunz zu »more competent readers« erziehen, ohne zu wissen, wie sie wirklich lesen? Und hier kann ich mir die Frage nicht verkneifen: Weiß er denn überhaupt, wie er selbst liest?) Da steht er mit beiden Beinen in der Wagenburg – steht er in jener hermeneutischen Tradition einer ›Horizontverschmelzung‹, die Subjekt und Objekt nicht unterscheiden mag, und das soll er auch meinetwegen tun – so lange er die Leute, die den tatsächlichen Lesevorgang erforschen wollen, nicht dabei stört.

Aber Kelleter stört zumindest dadurch, dass er seinen Lesern ein verfälschtes Bild von Positionen vermittelt, die ihnen noch wenig bekannt sein dürften. Es mag doch von einigem Interesse sein, einmal konkret zu sehen, wie er dabei verfährt und wie er dabei seine Bildung des Clusters ›Neo-Naturalismus‹ ausnutzt: Er bemängelt an der evolutionären Ästhetik, dass sie mit nicht-schönen Werken der Kunst nichts anzufangen wisse. Er führt dann Peter Stockwell an (einen Kognitivisten, der mit evolutionärer Ästhetik – leider – überhaupt nichts im Sinn hat!) und meint:

The first example that comes to his mind when he thinks about a book in which readers have »to engage with ideas that are not naturally their own« (2002, p. 153) is Hitler's Mein Kampf. The term ›naturally‹ is of course deceptive here, because fascist ideology in the 1920s and 1930s was anything but unnatural. Nor was it natural. It was—and still is—cultural and historical. (172)

Was hat das mit Stockwells Text zu tun? Da heißt es, unter dem Stichwort »transportation«, also etwa ›Mitgehen‹/›Mitgenommenwerden‹ des Lesers: »Even in extreme cases (such as reading Hitler’s Mein Kampf), part of the sense of distaste and revulsion for most people comes from the sense of having to engage with ideas that are not naturally their own and feeling too close to them for comfort.« Es geht also um das Mitgehen sogar bei Texten, die uns abstoßen, und der Widerwille bei der Hitler-Lektüre dient als Extrem-Beleg dafür, dass wir diese Zumutung des ›Mitgehens‹ empfinden. Kein dummer Gedanke, meine ich. Aber Kelleter zerstört ihn brutal, greift sich das kontextlos mehrdeutige Wort »naturally« heraus und ›versteht‹ es, als stünde es im Kontext einer ›neo-darwinistischen‹ Abhandlung. – Stockwell gibt übrigens fünf Zeilen später selbst eine ausdrückliche Explikation dessen, was er unter ›nature‹ versteht, nämlich schlicht so etwas wie Eigenart oder Beschaffenheit: »The nature of the text (its architecture of formal patterns and genre characteristics)«. Die ›confusion‹, die Kelleter beklagt, hat er selbst hergestellt, und zwar durch eine Missachtung des hermeneutischen ›principle of charity‹.

2.

Nun also zum evolutionstheoretischen Ansatz. Er erscheint mir nicht nur für sich genommen, sondern auch als Ergänzung anderer ›neo-naturalistischer‹ Ansätze besonders wichtig. Er kann der neurophysiologischen Mikroskopie einen Rahmen geben, indem er sie auf funktionale Verhaltenseinheiten (›Module‹) bezieht. Er kann den im engeren Sinne ›empirischen‹ Ansätzen, die immer nur mit erreichbaren Gegenwartspopulationen operieren können, beim Extrapolieren auf andere Zeiten und Kulturen als Kontroll- und Plausibilisierungsinstanz dienen. Vor allem aber kann er, wie schon angedeutet, den kognitionswissenschaftlichen Ansätzen eine empirisch-anthropologische Zusatzdimension geben. Insbesondere die Evolutionäre Psychologie bietet nun die Möglichkeit einer Kooperation oder gar Fusion von Kognitionswissenschaft und evolutionstheoretischem Ansatz. Da hätte Kelleter nicht so unrecht, Kognitionswissenschaft und ›Neodarwinismus‹ in einen Topf zu werfen. Aber leider nimmt er die Evolutionäre Psychologie gar nicht erst zur Kenntnis. Doch der Reihe nach:

Kelleter meint: »What we study are indeed the ›many different cultural manners‹ in which humans have made use of their biological dispositions through history – and not just evolution.« (170; Hervorhebung im Original) Das ewige eindimensionale Entweder-Oder! Wie soll man denn den Gebrauch der biologischen Dispositionen studieren, ohne auch diese selbst zu studieren? Und wie soll man die biologischen Dispositionen studieren, ohne sie als Produkt der Evolution zu verstehen? Nur darum geht es. Deshalb könnte ich mich mit Kelleters Satz einverstanden erklären: »My point is that a purely empirical or naturalist approach to literary works or other cultural artifacts constitutes an inappropriate method« (168, Hervorhebung von mir), jedenfalls in dem engen Sinne, in dem Kelleter ›empirist‹ und ›naturalist‹ versteht. Das ist ja eines der Dauermissverständnisse: Bewohner der Wagenburg unterstellen immer wieder, die Rothäute wollten mit ihren Kategorien alles erklären. Wenn man ihnen dann sagt, dass man tatsächlich nur einiges erklären möchte, wenden sie sich enttäuscht ab. Sie sind es eben gewohnt, dass es immer gleich ums ›Ganze‹ geht. Auch Kelleter hält es dann wieder für eine Art Kapitulation, bei der er die ›Naturalisten‹ ertappt, wenn sie auf die Ergänzungsbedürftigkeit ihrer Überlegungen durch sozialwissenschaftliche Perspektiven hinweisen. They »reach a point where they recognize that in order to do literary analysis they need to confront questions of social and cultural construction in their historical specificity, and not just (!) physiological or pragmalinguistic verities.« (180) Beides! Aus ausschließlich biologischer Perspektive gibt es überhaupt keine Literatur (wenn man das Wort ›Biologie‹ nicht der üblichen geisteswissenschaftlichen Begriffsdehnung unterwirft und sagt: »Alles ist Biologie.«). Zweifellos aber gibt es biologische Dispositionen, die das geschichtliche Dasein und Sosein von Literatur ermöglichen, und biologisch begründete Funktionen, die von dem geschichtlichen Phänomen Literatur wahrgenommen werden können. Hier wäre anzusetzen.

Kelleter zieht für seine Kritik vor allem den Sammelband The Literary Animal von 2005 heran, neueste Produktion also. Ich muss gestehen, dass ich nicht recht glücklich bin mit diesem Band. Er enthält einiges Unausgereifte und macht damit Kelleter das Leben leicht, mir aber schwer. [4] Das Vorwort stammt bezeichnenderweise von E. O. Wilson, dem großen Kämpfer für die Soziobiologie in den 70er Jahren. Zeitweise war die Soziobiologie tatsächlich das Hauptparadigma für eine biologische Erhellung menschlicher Verhaltensweisen. Sie war/ist vornehmlich an den evolutionären Ursachen von Kooperation interessiert und sucht die entsprechenden Analogien oder Homologien zwischen Tier und Mensch auf. Wie Kelleter richtig feststellt, neigen soziobiologisch orientierte Interpreten dazu, die Werke der Weltliteratur nach inhaltlichen Konvergenzen mit soziobiologischen Erkenntnissen abzugrasen, so wie früher Werke nach Konvergenzen mit der Psychoanalyse oder dem Marxismus abgegrast wurden. Nicht untypisch ist da Kelleters Zitat aus einem Beitrag von David Sloan Wilson: »if we ask what themes would most interest a nonhuman primate, those are the themes that are most prominently featured in Shakespeare and indeed all literature.« Das ist zumindest sehr unglücklich formuliert, und eine Kritik könnte diese Behauptung als Sprungbrett nutzen, um zu besseren Einsichten zu kommen. Kelleter aber meint großzügig: »This is probably true« (163), denn es interessiert ihn überhaupt nicht: »but what have we understood about Shakespeare, what about Elizabethan culture, when we see this?« Wilson aber wollte hier nicht etwa Shakespeare erklären, sondern den universellen Erfolg seiner Dramen, und führte diesen – gegen den radikalen Kulturrelativismus argumentierend – darauf zurück, dass sie nicht nur kulturspezifische, sondern auch universelle Dispositionen ansprechen. Dass Kelleter ausgerechnet in diesem Argumentationszusammenhang beklagt, dass er nichts über die elisabethanische Kultur erfährt, ist schon etwas grotesk.

Kelleter wäre ohnedies gut beraten gewesen, wenn er nach alter Philologenweise ad fontes gegangen wäre und den im selben Band enthaltenen Originalbeitrag des Psychologen Daniel Nettle zur Kenntnis genommen hätte, auf den die passim-Bemerkung des Biologen Wilson sich bezieht. Nettle versucht, die Gattung ›Drama‹ soziobiologisch als ›supernormal conversation‹ (im Sinne der ›supernormalen‹ Auslöser der Ethologie) zu bestimmen, und das ist unter den vielen Versuchen einer Bestimmung des Dramas gewiss nicht die abwegigste. Kelleter wäre dann noch deutlicher auf die Unangemessenheit seiner Frage hingewiesen worden, denn Nettle erklärt seine Absicht eindeutig und mehrfach als gattungstheoretische, zu der dann die historische hinzutreten müsse: »It is not an alternative to historicist studies; rather it is a set of general principles and parameters within which historicist work should be nested.« (Nettle 2005, 61)

Nein, ich werde Kelleters Vorgehensweise nicht weiter auf diese mikrologische Weise prüfen. Wichtiger erscheint mir der Hinweis, dass in der Tat die Soziobiologie ein in Sachen Literatur nicht ganz angemessenes Paradigma ist. Fruchtbarer als die Soziobiologie ist für die Literaturwissenschaft vermutlich die Evolutionäre Psychologie, die sich in den 90er Jahren aus der Soziobiologie ausdifferenziert hat. (Ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass Kelleter das spätestens aus meinem Buch [Eibl 2004] hätte erfahren können.) Die Evolutionäre Psychologie fragt verstärkt nach den biologischen Bedingungen des artspezifisch menschlichen Verhaltens und des artspezifischen psychischen Apparates, der diesem Verhalten zu Grunde liegt. Da werden dann z.B. der spezifisch menschliche Umgang mit Emotionen und das Reich der kognitiven Dispositionen bedeutsam, desgleichen die Differenz zwischen den Lebensbedingungen, denen unsere Adaptationen ihre Entstehung verdanken, und den Welten, in denen sie sich heute bewähren müssen, [5] sowie der ganze Komplex der (darstellungs-) sprachlichen Weltkonstitution. Da gibt es noch viel zu tun!

Ich werde nun freilich nicht den ganzen einschlägigen Material- und Gedankenkomplex erneut aufrollen. [6] Ich will nur zwei Punkte hervorheben, die m.E. nicht nur von den Kritikern, sondern auch von einigen Anhängern der biologischen Perspektive nicht oder zu wenig beachtet werden, nämlich die Unterscheidung von Funktionsmodus und Organisationsmodus und das Phänomen des Entkoppelns (decoupling). Beide werden in einigen Aufsätzen von Leda Cosmides und John Tooby, den wichtigsten theoretischen Köpfen der Evolutionären Psychologie, behandelt (bei Kelleter kommen sie nicht vor). [7]

Mit Recht wird von Beobachtern der biologischen Perspektive immer wieder betont, dass beim Menschen die individuelle, ontogenetische Entwicklung (development) von ganz besonderer Bedeutung sei. Die Fülle und Heterogenität der Adaptationen, die wir der Evolution verdanken, lässt uns in immens unterschiedlichen Umwelten erfolgreich agieren, führt aber auch zu immensen internen Koordinationsproblemen. Schon beim Tier dient die Betätigung der Adaptationen in einem von Erfolgszwängen entlasteten Übungsmodus dazu, diese Adaptationen und damit den Organismus sozusagen fertigzubauen. Das ist natürlich schon lange bekannt unter dem Titel des Spiels. Cosmides/Tooby sprechen von einer Betätigung der Adaptationen im Organisationsmodus. Beim Menschen sind es in ganz besonderem Maße die kognitiven Fähigkeiten, die einer solchen Ausbildung bedürfen, und ihr Zusammenspiel ist offenbar so prekär, dass sie bis ins Alter hinein durch entsprechende Übungen in Stand gehalten und ständig nachjustiert werden müssen. Solche Betätigungen im Organisationsmodus haben zwar keinen Nahzweck. Aber sie sind durchaus nützlich: Ihr Nutzen ist ein Fernzweck (›ultimate cause‹), und dieser Fernzweck war der entscheidende evolutionäre Selektionsfaktor. Die Handelnden allerdings wissen in der Regel gar nichts davon. Ihre (Haupt-)Motivation ist, dass ihnen ihr Handeln einfach ›Spaß‹ macht. Anspruchsvoller ausgedrückt: Dass es intrinsisch belohnt wird. Das ist eine der Stellen, an denen wir den Neurophysiologen für eine Detailerkenntnis dankbar sein müssen, denn sie haben nachgewiesen, dass solche intrinsischen Belohnungen eine endokrine Basis haben. Sie ist die Grundlage der ästhetischen Lust. Das (nah-)zweckfreie ästhetische Vergnügen, das ›interesselose Wohlgefallen‹, ist mithin kein Philosophen-Phantasma, sondern ein verifizierbares Produkt der biologischen Evolution.

Die eng damit zusammenhängende Fähigkeit des Entkoppelns (ermöglicht durch die Darstellungs- und Argumentationsfunktion der Sprache) ist vermutlich die entscheidende artspezifische Fähigkeit des homo sapiens und die Grundfähigkeit für alles, was wir als Kultur bezeichnen. [8] Damit aber keine falschen idealistischen Erwartungen aufkeimen: Ansätze dafür gibt es selbstverständlich schon bei Tieren, und die Fähigkeit des Entkoppelns bedeutet keineswegs, dass nun das Reich der Emanzipation von Naturzwängen und der Freiheit durch die Kraft der Reflexion zu annoncieren wäre. Sie ermöglicht nur einen weit flexibleren Umgang mit den Adaptationen, der seinerseits wiederum der kulturellen Regelung bedarf.

Entkoppeln also: Als zentrale und kennzeichnende Eigenschaft in der menschlichen Evolution konstatieren Cosmides/Tooby eine dramatische Zunahme des Gebrauchs von kontingent gültiger Information in unterschiedlichen Umständen. Sie verwenden dafür den Begriff der ›kognitiven Nische‹ (Tooby/deVore 1987). Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Informationen auf eine höchst elastische Art behandelt werden können, indem man sie mit Meta-Informationen, ›taggings‹, versieht. Evolutionärer Anknüpfungspunkt für den Gebrauch von Metainformationen war vermutlich das Spiel. Die Spielaufforderung des Hundes oder des Papageis, das Spielgesicht des Schimpansen (eine Frühform unseres Lächelns) sind bekannte Beispiele dafür, wie ein Verhalten mit der Metainformation versehen wird: ›Dies ist Spiel‹ (also nimm es nicht als ernsthafte Bedrohung, wenn ich knurre). Beim Menschen ist dieses Informationsmanagement durch Metainformation auf der Basis der Darstellungsfunktion der Sprache zu einer umfassenden Maschinerie der Verarbeitung möglicher und wirklicher ›Welten‹ geworden.

Es sind die neuen Welten des ›Das könnte wahr sein‹, ›Das ist dort drüben wahr‹, ›Das war einmal wahr‹, des ›Was andere glauben, ist wahr‹, des ›Wahr nur, wenn ich das getan hätte‹, des ›Nicht wahr hier‹, des ›Was andere wollen, dass ich glaube, sei wahr‹, des ›Das wird eines Tages wahr sein‹, des ›Sicher ist es nicht wahr‹, des ›Was er mir erzählt hat‹, des ›Es scheint wahr auf der Basis dieser Behauptungen‹, und so weiter und so weiter. (Tooby/Cosmides 2001, 20)

Die Möglichkeit, Propositionen so zu markieren, dass sie intakt bleiben, aber gleichwohl nicht blindlings als handlungsrelevante Informationen verwendet werden, sie also von Handlungszwecken (zeitweise) zu entkoppeln, ist wesentlich dafür verantwortlich, dass homo sapiens bei der Handhabung wechselnder (auch selbstgeschaffener) Milieus allen Konkurrenten überlegen ist und damit zu dem Erfolgsmodell der Evolution wurde. Und hier liegt natürlich auch die technische Voraussetzung für so interessante Dinge wie die Rekonstruktion fremden Problemlösungsverhaltens – von der ›theory of mind‹ mit ihrer enormen Steigerungskraft für das Kooperationsvermögen bis zur Geschichtswissenschaft – für Kontrafaktisches, Hypothetisches – oder für poetische Fiktionen.

In Verbindung mit der Betätigung des Organisationsmodus schafft die Möglichkeit des Entkoppelns die Voraussetzung dafür, dass stammesgeschichtlich alte kognitive und emotionale Strukturen in der Kunst, namentlich in der Literatur, in neuer Funktion verwendet werden können. Die soziobiologischen Literaturinterpreten verweisen auf die hohe Sach-Informationsdichte der Erzählungen von Stammeskulturen, in denen ja das Erzählen das herausragendste Medium ist, um solche Informationen dauerhaft zu verschnüren. Aber die Beobachtungen von biologisch altem Gefühls- und Wissensgut in neueren literarischen Werken werden erst dann voll ausgeschöpft, wenn man die Möglichkeit des Entkoppelns hinzudenkt: Es geht dann nicht (nur) um direkte Informationen, sondern um urtümliche Auslöser von Aufmerksamkeit, auf die dann vieles an Differenzierungs- und Symbolarbeit aufsetzen kann: Die Gefährdung eines Kindes lässt in uns Alarmglocken läuten, ob auf der Bühne, im Roman oder in der Wirklichkeit. Die Gefährdung der Verwandten (und ein Romanheld ist so etwas wie ein adoptierter Verwandter) fordert unsere Kampf- und Hilfsbereitschaft, das unbekannte Fremde erfüllt uns mit Bangigkeit (und vielleicht auch Neugier), der Donner Jehovahs oder Jupiters mit Schrecken, Verstöße gegen biologisch basierte Tabus wie Inzest, Bruder- und Vatermord oder Untreue und Verrat versetzen alle Rechtschaffenen in angemessene Empörung. In jedem Falle reichen die angesprochenen Emotionen mittelbar oder unmittelbar bis in den Urbestand zurück. Und nicht viel anders steht es um die kognitive Seite, um die Schematisierungen oder ›Gestalt‹-Erwartungen, die uns durch einen Text führen, Geschichten von Aufbruch und Heimkehr, von Werbung und Hochzeit, Kampf und Sieg oder Niederlage usw. Aber dank der Fähigkeit zum Entkoppeln reagieren wir im weiteren Verlauf nicht wie auf ein wirkliches Geschehen, sondern folgen interferierenden und anschließenden Kognitionen, die in ganz andere Zusammenhänge führen können. Insbesondere sind die alten Dispositionen nun für die Besetzung oder Neubesetzung mit semantischen Elementen geeignet. Die Furcht vor Naturgewalten kann dann in Ehrfurcht vor dem ›Erhabenen‹ umgedeutet werden, und das Schema von Aufbruch und Heimkehr, das die Nahrungssuche steuert, kann mit der Suche nach dem Heiligen Gral oder gar mit einer ganzen Geschichtsphilosophie von Aufbruch und Rückkehr Gottes gefüllt werden. Es werden dabei dieselben emotionalen Auslösemechanismen und kognitiven Erwartungen getroffen, ob es sich nun um ein reales Geschehen handelt oder um ein fiktionales. Die Anschlusskognitionen und das Anschlussverhalten jedoch können grundlegend verschieden sein.

Diese Andeutungen müssen hier genügen. Man kann Kelleter das Verständnis nicht ganz versagen, wenn ihn die vorliegenden konkreten literaturgeschichtlichen Untersuchungen auf evolutionstheoretischer Basis nicht besonders überzeugen. Sie haben vielfach noch den Charakter von Probefahrten. Aber jetzt ist die erste gründliche literaturgeschichtliche Studie erschienen, die Befunde der Evolutionären Psychologie fruchtbar macht (Mellmann 2006). Da sollte der ›proof of the pudding‹ anders ausfallen.

3.

Lange Zeit haben uns die Philosophen gesagt, wie Wissenschaft geht. Aber neuerdings sagen sie uns eigentlich nur noch, wie (oder gar dass) sie nicht geht. Und dass sie auf jeden Fall die Finger vom Territorium der Philosophie lassen soll. Musterfall ist nun das große Pamphlet von M. R. Bennett und P. M. S. Hacker gegen einige populäre Neurowissenschaftler. Mir war nicht auf Anhieb verständlich, was es im vorliegenden Zusammenhang eigentlich zu suchen hat, denn Literaturwissenschaft kommt weder bei den Kritikern noch bei den Kritisierten vor. Auch sonst haben die Neurowissenschaften in der Literaturwissenschaft bisher nur eine Fußnotenexistenz geführt. Wertvoll ist der schon erwähnte Nachweis eines körpereigenen Belohnungssystems, der schon in den 1950er Jahren geführt wurde und wahrscheinlich gemacht hat, dass das ästhetische Wohlgefallen unter Körperbeteiligung stattfindet, [9] von der Gedächtnisforschung kann man einige Aufklärung über Grundlagen des Erzählens erwarten [10] und gelegentlich tauchen jetzt Überlegungen zur Leistung der Spiegelneuronen auf (Lauer 2007). Aber mit diesen bescheidenen Ansätzen gibt Kelleter sich gar nicht erst ab. Er erklärt die Neurowissenschaften zum »model field« der ›Neo-Naturalisten‹, denn das gibt ihm Gelegenheit, mit gewichtigen Eideshelfern aufs Grundsätzliche zuzustreben und dem alten Wissenschaftsdualismus, nun ja, ein »face-lift« (156) zu verpassen. Da wird es sinnvoll sein, zumindest das Prinzip und die Anwendbarkeit von Bennett/Hackers Argumentation zu prüfen. Schon der Titel lässt ja aufhorchen: »Philosophical Foundations of Neuroscience«. Gibt es das denn? Ich halte dafür, dass die Philosophie erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse und Vorgehensweisen interpretieren und kritisieren kann; zum Fundieren taugt sie nicht. Es sei denn, sie dogmatisiert ihre eigenen Voraussetzungen und wird damit zu einem religionsähnlichen Unternehmen. Mir scheint, Bennett und Hacker gehen diesen Weg. [11]

Kern der Kritik ist der Vorwurf des Kategorienfehlers. Der Begriff wurde von Gilbert Ryle geprägt und diente ihm eigentlich dazu, die Traditionen des Leib-Seel-Dualismus (das ›Gespenst in der Maschine‹) auszuhebeln. Inzwischen erfreut er sich großer Beliebtheit, wo immer man irgendwelche Auffassungen oder Formulierungen als illegitim kennzeichnen möchte. Gemeint ist ungefähr das, was man in der Linguistik als semantische Inkompatibilität bezeichnet. Wenn ich z. B. sage: »Die Sonne lacht!«, dann steckt in dieser Aussage ein ›Fehler‹, weil über den Angehörigen der Kategorie Himmelskörper etwas gesagt wird, was man nur über Angehörige der Kategorie Mensch sagen kann. Aber es wäre natürlich albern, wollte man nun zu einer generellen Metaphernhatz blasen. ›Lachen‹ bedeutet im einen Fall eben etwas anderes als im anderen. Auch in der Wissenschaftssprache werden Metaphern geduldet, ob es nun Schwarze Löcher, Rote Riesen und Weiße Zwerge sind oder der gyrus insularis, die Inselrinde. Allerdings: Es gibt kluge und dumme, gute und schlechte, und vor allem: aufschließende und irreführende Metaphern. Mir persönlich läge sehr an einem sorgsameren Umgang der Biologen mit Metaphern und vor allem Anthropomorphismen. [12] Die Prägungen ›egoistisches Gen‹ oder ›honest signals‹ können einen Moment lang erhellend sein, aber wenn sie sich terminologisch verfestigen, führen ihre Implikationen in die Irre. Bei den populären Neurophilosophen kommt noch dazu, dass man ihnen weitgehend ausgeliefert ist, weil das eigene kritische Urteil viel Spezialwissen voraussetzt. Immer wieder steht man vor der Frage, wie wörtlich die betreffenden Äußerungen nun zu verstehen sind, wie viel davon Zusammenfassung eines harten empirischen Befunds ist und wie viel fortspinnende, metaphernbeflügelte Phantasie. Eine differenzierende Kritik des Metapherngebrauchs in der Wissenschaftssprache wäre also höchst willkommen. Da könnte so ein wuchtiger 460-Seiter wie das Buch von Bennett und Hacker vielleicht helfen, und gelegentlich tut er es auch wirklich.

Bennett und Hacker bauen ihr Unternehmen aber leider auf einer höchst zweifelhaften – meines Erachtens falschen – Voraussetzung auf. Zwar bekennen sie sich zur analytischen Philosophie, aber sie gehören allem Anschein nach zu deren idealistischem Flügel, der nur die Sprache anderer Leute kritisiert, doch auf die eigene als verlässliche Wahrheitsquelle vertraut. So immunisieren sie ihre eigene Position, indem sie sich zu Sachwaltern des richtigen Begriffsgebrauchs erklären, die ganz unabhängig von Sachfragen agieren. Sie unterscheiden zwischen »philosophical problems about the apriori nature of things« und »scientific problems about the empirical characteristics of things and their explanation« (Bennett/Hacker 2003, 399). Mit empirischen Hypothesen haben sie nichts zu tun, wie sie betonen, sondern sie operieren mit einem apriorischen Wissen. Damit ist jedes Forschungsprogramm ausgeschlossen, das dieses Wissen zum Gegenstand der Erfahrungswissenschaften macht. Auch Philosophen können irren, geben sie immerhin zu (sie haben ja schließlich Kollegen), »but the error, like an error in pure mathematics, is an a priori one, identifiable independently of experience and experiment« (ibid., 404). So lange es um die klassischen Aprioris Kants, um mathematische Axiome, euklidische Geometrie oder die Regeln der formalen Logik geht, lässt sich das noch nachvollziehen, und Bennett/Hacker berufen sich denn auch auf ihre, wie sie sagen: »logico-grammatical investigations« (ibid., 400). Tatsächlich aber treffen sie ganz wesentlich semantische Festlegungen. Diese beruhen angeblich auf dem, »what competent speakers, using words correctly, do and do not say« und das heißt: auf der Sprachkompetenz der Autoritäten Bennett und Hacker, die durch die Erhebung zum Apriori von aller Kritik freigestellt wird – was für ein hübscher dogmatisierender Zirkel. Die Herren Kelleter und Bennett und Hacker mögen verzeihen: Diesen Bären lasse ich mir auf meine alten Tage nicht mehr aufbinden. – Das eben ist eine zentrale Frage: Woher kommen die semantischen Aprioris wirklich? Verdanken sie sich göttlicher Inspiration? Für den ›naturalistischen‹ Blick jedenfalls sind sie Produkte von Sozialisation und eigener Erfahrung (auf der Basis ererbter Dispositionen), und damit von sehr voraussetzungsvoller Natur. Nur ihr intuitiver Gebrauch lässt ihnen die naive Selbstverständlichkeit apriorischer Gewissheit zuwachsen – wie das eben bei Vorurteilen so ist. Da kommt es dann zu den bekannten Überhöhungen des trivialen zeitlichen Vorher-Nachher zu den unverhandelbaren (im Deutschen zu Zeit beliebt: ›unhintergehbaren‹) Bedingungen der Möglichkeit von ...:

Philosophy is concept elucidation by means of the description of the rule-governed use of words. Such descriptions antecede experience, and are presupposed by the use of relevant words in making any true or false empirical claim. Clarifications of the concepts of perception, or memory, or imaging and the imagination antecede any empirical theories about the neural underpinnings of these capacities. For the concepts are already presupposed in the formulation of the theories. (Bennett/Hacker 2003, 402; Hervorhebungen im Original)

Aber gewiss doch! Nur begründet zeitliche Priorität nicht sachliche Unantastbarkeit. Für eine erfahrungswissenschaftliche Vorgehensweise sind solche Begriffe Bestandteile von Ausgangsvermutungen, die durch weiteres Forschen bestätigt oder verändert oder widerlegt werden. Wörter wie »perception, or memory, or imaging and the imagination« bedeuten nach der Untersuchung etwas anderes als davor!

Gehen wir noch einen Schritt näher. Was Bennett/Hacker zu monieren haben, ist ein spezifischer Fall von Kategorienfehler, nämlich der mereologische Fehlschluss, wie sie es nennen. ›Mereologie‹ bezeichnet die Lehre von den Teilen und dem Ganzen. Während es bei den einfachen Kategorienfehlern um Mischungen verschiedener kategorialer Domänen geht, werden beim mereologischen Fehlschluss verschiedene Ebenen derselben Domäne ungenügend unterschieden. Mereologische Fehlschlüsse sind dann zu diagnostizieren, wenn das Ganze behandelt wird, als wäre es ein Teil, oder wenn ein Teil behandelt wird, als wäre er das Ganze. Ryle wollte damit gegen den psychophysischen Dualismus argumentieren und zeigen, dass es unsinnig sei, neben den Teilen des Körpers noch einen separaten ›Geist‹ anzunehmen, der diesen Körper kommandiert. Bennett/Hacker setzen beim zweiten Fall an, der unter Philologen unter dem Namen der Synekdoche bekannt ist. Ein mereologischer ›Fehler‹ in diesem Sinne ist es z.B., wenn ich sage, dass mein Herz sich freut. Freuen kann sich nur meine Person, wohingegen mein Herz unfähig ist zu einer solchen Regung. Und ebenso ist es ›verboten‹ zu sagen, dass das Gehirn denkt. Denn auch Denken ist ein Privileg von Personen. Das ist das Mantra von Bennett/Hacker: »It is not the eye (let alone the brain) that sees, but we see with our eyes […]. So too, it is not the ear that hears, but the animal whose ear it is« (Bennett/Hacker 2003, 72f.; Hervorhebung im Original). »Human beings, but not their brains […]; animals, but not their brains […]; people, but not their brains […]« (ibid., 73) Sogar der ›mind‹ ist offenbar nur ein Teil: »it is not the mind, that feels pain, perceives, thinks and desires, makes decisions and forms intentions, but the person« (ibid., 106). [13]

Auch Bennett/Hacker wissen natürlich, dass man die inkriminierten Redeweisen als uneigentliche Rede einschätzen kann, was die generelle Diagnose ›Kategorienfehler‹ stark relativieren könnte. Sie versuchen zu unterscheiden: »It makes no sense to ascribe psychological predicates (or their negations) to the brain, save metaphorically or metonymically.« (ibid., 72) Und sie argwöhnen: »Whether neuroscientists’ ascriptions to the brain of attributes that can be applied literally only to an animal as a whole is actually merely metaphorical (metonymical or synecdochical) is very doubtful« (ibid., 79). Im »merely«, mit dem bei Bennett und Hacker die Metaphorik regelmäßig verknüpft ist, steckt das Problem. Anscheinend kennen sie nur die Alternative eines literalen Wortverständnisses, nach dem ein Satz wie: »Das Gehirn denkt« falsch ist, und eines uneigentlichen Wortverständnisses in Sinne eines bloßen Redeschmucks, den man als ›poetic licence‹ weiter nicht ernst nehmen muss.

Dieser binäre Schematismus von schädlichem literalem und unschädlichem figürlichem ›Unsinn‹ verkennt die Vielfalt der Funktionen (und Fallen) uneigentlicher Rede in Alltag und Wissenschaft. Nur auf eine dieser Funktionen will ich hier aufmerksam machen, weil sie Grundsätzliches der beiden Positionen berührt. Den meisten der angeklagten Neurophysiologen dürfte bei ihren Forschungen eine Identitäts-Lösung des Leib-Seele-Problems vorschweben. [14] Ernst Mach hat das auf die Formel von den »zwei Beobachtungsweisen desselben Vorgangs« gebracht (Mach 1922, 305). Wenn die alltagssprachlich-philosophische und die wissenschaftssprachliche Perspektive denselben Gegenstand haben, dann liegt es nahe, Begriffe der alltagssprachlichen Semantik neurophysiologisch und Befunde der Neurophysiologie alltagssprachlich zu interpretieren, um zu einem Informations-Austausch und -Abgleich zu kommen. Die Metaphern oder ›Kategorienfehler‹, die dabei entstehen, haben unter anderem die Folge, dass beide kategorialen Ordnungen als kontingent markiert werden. Gewiss führt das auch immer wieder zu dilettantischer Pantscherei, die sich für eine Synthese hält. Aber gerade deshalb sollten solche Kontakte seitens der professionellen Pfleger der alltagssprachlichen Weltdeutung kritisch unterstützt werden. Die Position von Bennett/Hacker läuft aber auf ein Kontaktverbot und einen neuen dogmatischen Dualismus hinaus, bei dem nicht mehr das Descartessche Cogito, sondern das Bennett-Hackersche Apriori die zentrale Steuerung wahrnimmt. So geht das nicht.

4.

Prüfet aber alles, und das Gute behaltet!

(1. Thess. 5,21)

Kelleter findet nichts »Gutes«. Er verwirft ›neo-naturalistische‹ Ansätze in der Literaturwissenschaft ohne Ausnahme. Was die ›neo-naturalistischen‹ Bemühungen aus seiner Sicht zu bieten haben, ist entweder in der Wagenburg schon längst bekannt oder es ist trivial oder uninteressant. – Der universitäre Alltag lehrt, dass es einen schöngeistigen Konsens mit einem hochsensiblen Immunsystem gibt, das auf alle ernsthaften Irritationen sehr sicher mit Abstoßung reagiert (weniger ernsthafte wie der Poststrukturalismus werden relativ mühelos hermeneutisch assimiliert). [15] Die entsprechenden Strategien und die dabei mitwirkenden Motive wären eine eigene gründliche Untersuchung wert. Aber Kelleter legt Argumente – ›Gründe‹– vor; da wäre es in der Tat nicht ganz fair, Vermutungen über ›Ursachen‹ anzustellen (obwohl Kelleter selbst das spätestens bei seiner abschließenden Diagnose tut ... ein performativer Widerspruch?).

Einen Absatz lang möchte es ja sogar so scheinen, als ob Kelleter den ›neo-naturalistischen‹ Bestrebungen auch einen gewissen Wert zugestünde. Sie könnten »a necessary antidote to the obscurantism of much humanist scholarship« bilden und »as a control on hasty brands of cultural relativism« (181) wirken. Allerdings: »a mutually enhancing dialogue must begin with disciplinary self-awareness: with recognizing and respecting the real contentions that exist between categorically distinct types of knowledge.« – Worin besteht also nun der Unterschied zwischen den »categorically distinct types of knowledge« (182), dessen Anerkennung Kelleter zur Bedingung eines Dialogs macht? Es gibt in Kelleters Ausführungen eine ganze Reihe von Dualismen, irgendwie sollen sie einander wohl stützen, aber so recht klar wird das nicht. Die Bennett/Hackersche Unterscheidung, an die die Wortwahl erinnert, kann es jedenfalls nicht sein, denn diese ist ja als kritische Einbahnstraße konzipiert, und da kann von einem »mutually enhancing dialogue« schwerlich die Rede sein. Kelleter spricht gleich eingangs von »a defining feature of humanist knowledge: its concern not with facts but with meaning.« (154) Wieder der Denkzwang des Entweder-Oder. Entgegen Kelleters eigenem Bekunden scheint sein Wissenschaftsdualismus doch ontische Wurzeln zu haben. Kelleter bestaunt »the perplexing fact that human beings, alone among species, have developed and refined means and possibilities of transcending their natural limitations.« (169) Wie soll man das verstehen? Menschen, die ihre natürlichen Grenzen überschreiten, gehen genauso zu Grunde wie Ameisen oder Lurche. Nun gut, nehmen wir’s als eine erbauliche Redensart aus dem Umkreis von ›Emanzipation von Naturzwängen‹, ›aufrechter Gang‹ usw., die man alle nicht so genau untersuchen darf. Aber was steckt dann wirklich als propositionaler Gehalt dahinter? »The ›literary animal‹, in other words, is not just an animal« (ibid.; Hervorhebung im Original). Entscheidend für unser Interesse an den Menschen sei »not their biological animal nature, but the self-made, post-animal part of their existence that is grafted onto biological givens.« (ibid.) Was bedeutet hier »self-made«? Und was »grafted«? (Und schließen die beiden einander nicht aus?) Hinter den Undeutlichkeiten steht deutlich die Tendenz, den Menschen irgendwie aus der Natur herauszulösen und ihm statt ihrer die Kultur als Heimat zuzuweisen. Das aber wäre, ernsthaft betrieben, ein – ›mereologischer Kategorienfehler‹ (Voland 2007). Die Ausrüstung des Menschen zur Kultur (meinetwegen: zur ›zweiten Natur‹) ist ein Teil der menschlichen Natur, ein Produkt der Evolution, nicht etwas, was zur Natur als ein mysteriöses Anderes (ob ›self-made‹ oder ›grafted‹) noch hinzukäme, geschweige denn etwas, das ihn von der ›ersten‹ Natur zu reinem Geistsein oder dergleichen befreite. Allerdings ist es ein sehr besonderer Teil der Natur, den andere Lebewesen allenfalls in Ansätzen aufzuweisen haben, dessen jeweilige Aktualisierung besondere Probleme aufweist und dessen Erforschung besondere Instrumente benötigt. [16] Deshalb reicht nicht die allgemeine Biologie, auch nicht die Primatologie, sondern man braucht auch die Soziologie und als Scharnier eine Entwicklungspsychologie, die zur Biologie offen ist.

Nach Kelleters Auffassung kann es die »real contentions that exist between categorically distinct types of knowledge« eigentlich gar nicht geben. Er meint, »that physiological or biological discussions of literature are not in conflict with historical or interpretive scholarship; nor are they in competition with it (cf. Bennett/Hacker 2003, 366). Both forms of knowledge are categorically distinct, not at variance or incompatible« (177). Das steht in der alten Tradition der deutschen ›Geisteswissenschaften‹ und in der noch viel älteren der Lehre von der doppelten Wahrheit. Ich gebe Kelleter gern zu, dass wir es mit zwei verschiedenen Arten des Wissens oder des Umgangs mit dem ›Geist‹ (Mind, Seele, Psyche, Gehirn, Gemüt, Person ...) zu tun haben. Nämlich mit zwei Perspektiven derselben Sache, einer Innen- und einer Außenperspektive. ›Geist‹ kann der geistige Bewegungsraum sein, die Begriffs-Tradition, worin sich das Denken reflektierend aufhält und bewegt, keiner anderen Empirie bedürftig als des begrifflich codierten und tradierten Erfahrungsschatzes der Menschheit, selbstreferenziell und ›apriori‹. ›Geist‹ kann aber auch der Gegenstand sein, den die Geistes-Wissenschaften als empirische Wissenschaften untersuchen. Man könnte auch von einem reflexionswissenschaftlichen und einem objektwissenschaftlichen (einem schöngeistigen und einem szientistischen) Zugang sprechen.

Von entscheidender Bedeutung dürfte sein, wie man sich das Verhältnis dieser beiden Zugänge vorstellt. Immer wieder gibt es Träume und Angstträume von einer allumfassend szientistischen Lebensweise, und tatsächlich ist der von Max Weber diagnostizierte Prozess der Rationalisierung mit tiefgreifenden Entzauberungskrisen verbunden. Aber das primäre Steuerungssystem unseres Kommunizierens wird immer die Alltagssprache bleiben, von »jedem Fluch der Ruderer in den Galeeren« bis zu den feinsten Blüten der ›gepflegten Semantik‹ (Luhmann 1980, 19). Sie wird immer tendenziell das Ganze unserer Lebenswelt umfassen und die alltäglichen Handlungsorientierungen bieten. Die ungenaue und unzuverlässige Aussage: »Ich liebe dich« lässt sich nicht durch ein genaues und zuverlässiges Attest des neurophysiologischen Gesamtstatus ersetzen, obwohl beides sich auf dasselbe Geschehen bezieht. ›Szientistische‹ Geistes-Wissenschaft wird immer nur in Form von Korrekturen an der alltagssprachlich konstituierten Weltsicht lebenswirksam werden. Das ergibt sich übrigens auch aus der Evolutionstheorie: Unser kognitiver Apparat ist unter dem Druck von Bewährungen in Alltagssituationen entstanden; wir können ihn verbessern, aber nicht ersetzen. In der Alltagssprache bildet sich Intersubjektivität, sie strukturiert unsere Umwelt, ist das Medium gemeinsamer Entscheidungsfindung, bietet Lösungen für unsere Lebensprobleme oder sagt uns zumindest, dass wir nicht mit ihnen allein sind. – Außerdem sagt sie uns, welche Feinde wir totschlagen, welche wir zu Sklaven machen, wie wir Störenfriede quälen dürfen/sollen, wen und wie wir hassen und wer die Untermenschen und sonstigen dunklen Mächte sind, die unsere Frauen rauben, unsere Kinder schänden und unsere Brunnen vergiften. Will sagen: Sie ist ein buntes, naturwüchsiges Gemisch aus Wahrheit und Irrtum, Gut und Böse, das durch die kleinen und großen Katastrophen der Lebenspraxis nur zufällig und spontan korrigiert wird – so lange nicht eine Instanz kritischer Prüfung hinzutritt.

Geistes-Wissenschaft im Sinne einer Objektwissenschaft vom Geist (Kognitionswissenschaft in einem weiten Sinne) ist eine methodisch disziplinierte Form dieser Instanz. Wenn die Rede vom »transcending their natural limitations« mehr sein soll als erbaulicher Nonsens, dann kann nur dies gemeint sein: die Fähigkeit des Geistes, sich selbst zum Gegenstand von Wissenschaft zu machen, Con-Scientia, Consciousness, Wissen vom Wissen, also nicht einfaches Hinübersteigen in eine Sphäre der Freiheit, sondern so etwas wie ›transcending by reflecting‹. Kelleter meint: »Thus, humankind is the only species on earth that has proven able to actively influence its own evolution by creating a ›second‹ nature«. Das geht nicht ohne das Studium der ersten.

Karl Eibl

Institut für deutsche Philologie

Ludwig-Maximilians-Universität München

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[1] Karl Eibl, Warum der Mensch etwas Besonderes ist <http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10428&ausgabe=200702> (04.08.2007)

[2] John Tooby/Leda Cosmides, Evolutionary Psychology. A Primer. <http://cogweb.ucla.edu/EP/EP-primer_contents.html> (Update 1998, 4.08.2007).

Anmerkungen

[1] Stellungnahme zu: Frank Kelleter, A Tale of Two Natures: Worried Reflections on the Study of Literature and Culture in an Age of Neuroscience and Neo-Darwinism, in: JLT 1: 1 (2007), 153-189 und http://www.jltonline.de.

Englische Fassung in JLT 1: 2 (2007), 421-441 und http://www.jltonline.de. [zurück]

[2] Vgl. Wolff 1740, 3. [zurück]

[3] Weniger subjektiv ausgedrückt: Nach Lakatos 1970 weist ein Forschungsprogramm dann eine progressive Problemverschiebung auf, wenn es neben den bisherigen erfolgreichen Erklärungen weitere erfolgreiche Erklärungen bereithält. [zurück]

[4] Ausführlicher in der Rezension Eibl/Mellmann 2007. [zurück]

[5] Bezeichnend für Kelleters Wahrnehmung ist die Behauptung: »Eibl [...] concedes that human dispositions developed in the Pleistocene ›partly stand in completely different contexts today and have a completely different function‹ (ibid. p. 327). Pronouncements like these typically occur in the final chapters or pages of neo-naturalist books and articles.« Da gibt es nichts zu ›concede‹, sondern das ist einer der Gründungs-Artikel der Evolutionären Psychologie, der Anfang der 90er Jahre u.a. von Tooby/Cosmides (1990) und Symons (1992) gegen die damaligen humanbiologischen Ableger der Soziobiologie durchgesetzt wurde. Und deshalb steht er auch nicht am Ende, sondern am Anfang evolutionspsychologischer Bemühungen. Und in meinem Buch steht er erstmals auf S. 62. Und dann immer wieder mal. Und auf der von Kelleter herangezogenen S. 327 steht er schließlich mit der etwas verschämten Entschuldigung: »Man kann es nicht oft genug wiederholen«. Stimmt offenbar. Ein bisschen zum Verzweifeln ist es aber doch. – Vgl. nun auch die Internet-Publikation [1]. [zurück]

[6] Vgl. Eibl 2004. Eine kurze Einführung Eibl 2007. [zurück]

[7] Mit Literatur befassen sie sich nur in einem Aufsatz (2001). Er erschien uns aber wichtig genug, um ihn ins Deutsche zu übersetzen (2006). Darüber hinaus empfehle ich die Lektüre von Tooby/Cosmides 2000, da hier etwas ausführlicher einige grundlegende Fragen des Entkoppelns behandelt werden, sowie Cosmides/Tooby 2002, da hier das Entkoppelungs-Konzept auf überzeugende Weise mit der umstrittenen Frage der Modularität verknüpft wird. Zur Kurzinformation siehe die Internetpublikation [2]. [zurück]

[8] Das Konzept des Entkoppelns ist in der deutschen Anthropologie seit Arnold Gehlens großem Opus Der Mensch bekannt (als ›Hiatus‹). Gehlens Anthropologie erfreute sich einiger Beliebtheit bei Sozial- und Geisteswissenschaftlern, weil sie den Menschen als biologisches Mängelwesen mit reduzierten Instinkten bestimmte, so dass man von der biologischen Dimension beruhigt absehen konnte, und zwar mit scheinbar biologischen Gründen. Nur war Gehlens antidarwinistische Biologie keine sehr gute Biologie. Näheres z.B. bei Promp 1990. Die philosophische Anthropologie (und mit ihr die Sozialwissenschaften) habe »praktisch den biologischen Kenntnisstand der 40er Jahre konserviert – und kurioserweise nicht selten gegen den heutigen ins Feld zu führen versucht.« (15.) [zurück]

[9] Eine ausführlichere Studie, aber nur das Wohlgefallen an geometrischen Formen betreffend und damit in der Tradition von Gustav Theodor Fechner: Jacobsen u.a. 2006. [zurück]

[10] Beispiel: Young/Saver 2001. [zurück]

[11] Hübsche Koinzidenz, dass nun von Gerhard Roth und Klaus-Jürgen Grün ein Bändchen Das Gehirn und seine Freiheit (Göttingen 2006) herausgegeben wurde, das im Untertitel »Beiträge zur neurowissenschaftlichen Grundlegung der Philosophie« verspricht. Wer liefert (oder verweigert) nun wem die Grundlegung? Das Beste wäre wohl, man ließe dieses Gerangel um die Grundlegungs-Kompetenz bleiben und konzentrierte sich auf Verfahren der kritischen Prüfung und Bewährung. Zu den Problemen des Begründungsdenkens, das in das ›Münchhausen-Trilemma‹ von infinitem Regress, Zirkularität oder, wie hier, Dogmatismus führt, vgl. Albert 1991. [zurück]

[12] Eine solche Kritik versucht Dawkins 2000 zu geben. Aber der Schöpfer von Kostbarkeiten wie dem ›egoistischen Gen‹ und dem ›Mem‹ ist da natürlich nicht ganz unparteiisch. [zurück]

[13] Hier stolpert schließlich auch Kelleter und referiert nicht »it is not the mind«, sondern: »it is not the brain«... –Im Historischen Wörterbuch der Philosophie umfasst das Lemma ›Person‹ rund 70 Spalten, und auch wenn man sich auf die gut zwei Spalten beschränkt, die dort von der analytischen Philosophie versorgt werden, erweist der Begriff sich als so kontrovers, dass er keineswegs als unerläuterter Terminus verwendet werden kann. Im Index von Bennett/Hacker aber taucht er nicht auf. [zurück]

[14] Als Identitätstheorie bezeichnet z.B. Pauen 2003 die »Auffassung, dass jeder mentale Prozess mit einem neuronalen Prozess identisch ist« (107.). Es zeigt sich in dieser Formulierung eines der Verständigungsprobleme zwischen Philosophen und Erfahrungswissenschaftlern. Philosophen rechnen gerne auf eine ganze Weltanschauung hoch, in diesem Falle zur »Auffassung, dass jeder ...« Erfahrungswissenschaftler hingegen lassen sich von solchen ›Auffassungen‹ nur die Richtung des nächsten Schritts sagen. Da wäre besser zu sprechen von der »Vermutung, dass die gerade zu untersuchenden mentalen Prozesse mit neuronalen Prozessen identisch sind«. [zurück]

[15] Ein interessanter Vorgänger der derzeitigen Biophobie war die Soziophobie. Da wurden mit ähnlichen Strategien die marxistischen und die sozialgeschichtlichen Rothäute zunächst in einen Topf geworfen, bis es dann gelang, den sozialgeschichtlichen Ansatz zu entzahnen und zur schöngeistigen ›Kulturwissenschaft‹ zu assimilieren. – Ein spannender Versuch der Assimilierung der biologischen Perspektive an die schöngeistige ist nun Menninghaus 2003. Vgl. meine Stellungnahme in: KulturPoetik. Zeitschrift für kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft 4:2 (2004), 278-287. Auch: <http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8698

&ausgabe=200512> [zurück]

[16] Ein paar grundsätzliche Bemerkungen in [1]. [zurück]

2009-03-23

JLTonline ISSN 1862-8990

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Karl Eibl, Von den szientistischen Rothäuten und der schöngeistigen Wagenburg.

In: JLTonline (23.03.2009)

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