Tom Kindt

Roland Borgards

Methodenfragen

Giorgio Agamben erklärt sich selbst

Giorgio Agamben, Signatura rerum. Zur Methode. Aus dem Italienischen von Anton Schütz. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009. 146 S. [Preis: EUR 14,00]. ISBN: 978-3-518-12585-4.

Giorgio Agamben hat ein Buch Zur Methode geschrieben. [1] Für Agamben steht das Nachdenken über methodische Fragen nicht am Anfang der wissenschaftlichen Tätigkeit, sondern geht aus ihr hervor; eine Methode hat für ihn keinen axiomatischen Charakter, sondern ergibt sich aus einer reflexiven Tätigkeit; sie begründet keine analytische Praxis, sondern folgt aus ihr – »in Gestalt jener vorletzten Gedanken, die mit Freunden geteilt [...] werden« (7). Drei Elemente dieser methodischen Reflexion scheinen mir dabei von besonderer Bedeutung zu sein. Erstens erläutert Agamben den epistemologischen Status seiner Untersuchungsgegenstände (homo sacer, Ausnahmezustand, Konzentrationslager, usw.), die im Rahmen einer kulturwissenschaftlich und diskursanalytisch orientierten Literaturwissenschaft in den letzten zehn Jahren intensiv aufgegriffen und weiterentwickelt wurden. Zur Debatte steht bei diesen Untersuchungsgegenständen in methodischer Hinsicht das Verhältnis von konkreter historischer Gegebenheit und allgemeinem erkenntnisleitenden Konzept. Zweitens ermisst Agamben die Reichweite seiner analytischen Verfahren. Zur Debatte steht hier das Verhältnis von politischer Pragmatik und messianischer Ontologie. Drittens schließlich präzisiert Agamben seine Nähe und Distanz zu Michel Foucault, der seinerseits und seinerzeit gleichfalls mit der Archäologie des Wissens ein Buch zur Methode geschrieben hat.

Die Art und Weise, in der Agamben seine Methode entwirft, ist selbst dieser Methode verpflichtet. Nicht in einem systematischen Aufriss, sondern in exemplarischen Zugriffen, in drei einzelnen, für das Buch zusammengefügten Studien widmet er sich jeweils einem methodisch relevanten Begriff: dem Paradigma, der Signatur und der Archäologie. Wie in allen seinen Werken entwickelt Agamben auch hier seine Thesen in der engen Auseinandersetzung mit einer reichhaltigen Tradition an Texten, Denkmodellen und Argumentationsmustern. [2] Er referiert, interpretiert, präzisiert, radikalisiert, kritisiert, konstelliert das Denken seiner Gewährsleute und deutet damit seine eigene Position mehr an, als dass er sie explizit fixieren würde. Was so entsteht, erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern beharrt auf der Bindung der Theorie an eine lokale Praxis, der Methode an ihren konkreten Gegenstand: »So etwas wie eine Methode, die auf allen Gebieten gleichermaßen gültig wäre, gibt es nicht – ebensowenig wie eine Logik, die sich von einem Objekt auf ein anderes übertragen ließe.« (7)

Die Frage nach dem epistemologischen Status der Untersuchungsgegenstände steht im Zentrum der ersten Studie, die sich dem Begriff des Paradigmas widmet (»Was ist ein Paradigma?«, 9-39):

Im Verlauf meiner Forschungen bin ich auf Figuren gestoßen – den homo sacer, den Muselmann, den Ausnahmezustand, das Konzentrationslager –, die an sich, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, positive historische Phänomene sind, in meiner Analyse aber als Paradigmen behandelt werden und dort die Funktion haben, einen historischen Problemkontext zu konstituieren und in seiner Gesamtheit verstehbar zu machen.

(11)

Paradigmen haben für Agamben also eine doppelte Funktion. Zum einen konstituieren sie ein Erkenntnisobjekt; zum anderen interpretieren sie dieses Objekt. Zur konzeptuellen Klärung dieser doppelten Funktion verweist Agamben zunächst auf zwei für den Begriff des Paradigmas einschlägige Theoretiker, auf Foucault und Thomas S. Kuhn. Kuhn und Foucault verstehen Paradigmen als konkrete historische Gegebenheiten, die trotz ihrer Singularität eine normative, regulierende Kraft entwickeln. Vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeit gibt es jedoch, so zeigt Agamben präzise und erhellend, einen gewichtigen Unterschied. Während für Kuhn ein Paradigma als Wahrheitskriterium der Wissenschaften wirkt, erscheint es bei Foucault als Machtwirkung in Aussagekonstellationen. Für Kuhn reguliert ein Paradigma, was sich innerhalb einer Wissenschaft wissen lässt; für Foucault hingegen reguliert ein Paradigma, was sich innerhalb einer Wissenschaft machen lässt. Mithin betreibt Foucault die »Verlegung des Paradigmas aus der Epistemologie in die Politik« (17).

Agamben veranschaulicht Foucaults Paradigmenbegriff am Beispiel des Panoptikums. Das Panoptikum funktioniere »als Paradigma im strengen Sinne des Wortes: ein einzelnes Objekt, das, gültig für alle anderen Objekte seiner Klasse, die Intelligibiltät des Ensembles definiert, dem es zugehört und das es zugleich konstituiert.« (20) Dieser epistemologischen Zwischenstellung zwischen dem »einzelnen« Objekt und der von ihm regulierten Gruppe von »allen anderen« Objekten geht Agamben dann in einer Reihe von Spielarten nach, so z.B. mit Blick auf das Verhältnis zwischen dem Partikularen und dem Universalen (Aristoteles), zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen (Kant), zwischen dem Wahrnehmbaren und dem Mentalen (Platon), zwischen dem Einzelphänomen und dem Ganzen (Schleiermacher), zwischen Vorverständnis und Interpretation (Heidegger), zwischen dem Realen und der Idee (Goethe). Das Paradigma erweist sich dabei für Agamben stets als das gegebene Dritte, als Tertium Datur, das die dichotomische Oppositionsstruktur der traditionellen Erkenntnistheorie unterläuft.

Sein eigenes Verständnis des Paradigmatischen scheint für Agamben schon bei all den von ihm ins Spiel gebrachten Autoren angelegt. Bisweilen muss es noch durch Radikalisierung hervorgetrieben werden, z.B. bei Aristoteles, bisweilen ist es in anderer Begrifflichkeit schon vorformuliert, z.B. bei Goethe. Agamben streicht so heraus, dass die Problematik des Paradigmas in eine alte und lange Tradition epistemologischen Denkens gehört. Allerdings werden in diesem konstellierenden Rückgriff bisweilen auch Unterschiede auf kritische Weise vernachlässigt, z.B. derjenige zwischen Foucault, mit dem die Reihe der Bezugsautoren beginnt, und Goethe, mit dem diese Reihe schließt.

Goethe wird mit seiner Positionierung am Ende der Reihe besonders hervorgehoben; fast scheint dessen ›Urphänomen‹ zum Paradigma des Paradigmas zu avancieren: »Dieser entscheidende terminus technicus der Goetheschen Forschungen über die Natur [...] wird erst dann verständlich, wenn man [...] seinen Ursprung auf Platon zurückführt, das Urphänomen in einem schlechthin paradigmatischen Sinn versteht.« (35) Diese Privilegierung Goethes ist nicht unproblematisch.

Goethe, darin lässt sich Agamben zustimmen, hat sich ja tatsächlich an einer Epistemologie versucht, die zwischen Besonderem und Allgemeinem, zwischen dem Analytischen und dem Synthetischen, zwischen der Erfahrung und der Idee vermittelt. Ein locus classicus für diese epistemologische Grundhaltung, den Agamben nicht zitiert, von dem her sich aber Agambens Goethe-Deutung klar konturieren lässt, ist das Glückliche Ereignis, Goethes Bericht über den Beginn seiner Zusammenarbeit mit Schiller. Auf den Vorwurf Schillers, die Urpflanze sei keine Erfahrung, sondern eine Idee, habe er erwidert: »das kann mir sehr lieb sein daß ich Ideen habe ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.« [3] Aus der Konfrontation zwischen einem »hartnäckigen Realismus« und einem kantischen Idealismus, aus diesem »größten, vielleicht nie ganz zu schlichtenden Wettstreit zwischen Objekt und Subjekt« entspringt für Goethe ein »Bund«, der seine epistemologische Entsprechung im Konzept einer wahrnehmbaren Idee bzw. einer intelligiblen Anschauung findet. [4] In diesem Sinne spricht Goethe von ›Urphänomen‹, ›Urpflanze‹ und ›Urtier‹, in seinen morphologischen Schriften auch vom ›Typus‹. Das Urphänomen bzw. der Typus ist weder eine abstrakte Idee, noch eine vereinzelte Realität, es verbindet vielmehr beides miteinander, denn – so zitiert wieder Agamben Goethe – : »Alles Existierende [...] ist ein Analogon alles Existierenden« (36). Ein einzelnes Objekt kann erkenntnisleitend für alle anderen Objekte der gleichen Klasse einstehen. Goethes Urphänomen und Agambens Paradigma koinzidieren: »Das Urphänomen als Paradigma ist in diesem Sinn der Ort, an dem die Analogie in perfektem Gleichgewicht lebt, jenseits der Opposition zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen.« (ebd.)

Dieser durchweg zustimmende Bezug auf Goethe unterstreicht noch einmal Agambens eigene Vorstellung vom Paradigma als »einer Erkenntnisform, die weder induktiv, noch deduktiv, sondern analogisch ist« und damit »die Dichotomie zwischen dem Generellen und dem Partikularen« neutralisiert (37). Zugleich wird damit auch die Distanz deutlich, die Agamben von Foucault trennt. Agamben weist, wie gesagt, bereits zu Anfang seines Buches darauf hin, dass es Foucault um die »Verlegung des Paradigmas aus der Epistemologie in die Politik« (17) gegangen sei. Was Agamben hier nun betreibt, ist das Gegenteil davon: die Rückführung des Paradigmas aus der Politik in die Epistemologie, zudem in eine befriedete Epistemologie, in der ein »perfektes Gleichgewicht« herrscht, die also geprägt ist von einer sich an Goethe anschmiegenden Vorstellung von Harmonie und einer gleichfalls auch bei Goethe anzutreffenden Naturalisierung bzw. Ontologisierung dieser Harmonie: »Die Intelligibilität, um die es im Paradigma geht, hat ontologischen Charakter. Sie bezieht sich nicht auf das kognitive Verhältnis zwischen einem Subjekt und einem Objekt, sondern auf das Sein. Es gibt so etwas wie eine Ontologie des Paradigmas.« (38) Bei Foucault entstehen Paradigmen nicht in Frieden, sondern aus Kämpfen; und sie entwinden sich nicht sanft der Welt des gegebenen Seins, sondern zeigen sich stets als etwas mit Macht Gemachtes.

Von dieser machtpolitischen Dimension ist weder in Agambens Goethe-Interpretation noch in seinen sechs zusammenfassenden Thesen zur Struktur des Paradigmas, mit denen seine Erörterung des Paradigmas schließt (vgl. 37), mit keinem Wort mehr die Rede. Das ist erstaunlich, und zwar nicht nur, weil dieser Ausschluss des Machtpolitischen aus der Epistemologie so fern von Foucaults Genealogie der Macht liegt. Immerhin war Agambens gesamtes Homo-sacer-Projekt (Homo sacer, Ausnahmezustand, Was von Auschwitz bleibt) als eine avancierte Theorie des Politischen angelegt und zielte damit dezidiert auf eine Repolitisierung der Philosophie. Dieser analytischen Praxis gegenüber scheint die retrospektive Methode zu einer doppelten Akzentverschiebung zu führen: zu einer Zurücknahme des Politischen und zu einer Forcierung der Ontologie. [5]

Weniger Politik, mehr Ontologie: Auch die Studien zur Signatur und zur Archäologie folgen diesen Tendenzen. Hinzugefügt wird in ihnen nun noch ein dritter methodischer Grundzug, der bisher den Schlussakkord eines jeden Werks von Agamben gebildet hat: der Messianismus.

In der Studie »Zur Theorie der Signaturen« (41-99) wird die Signatur – mit ihren Verwandten und Varianten: Archeus, Charakter, Typus, Indiz – als ein Konzept beschrieben, das wie das Paradigma die Mitte zwischen Generellem und Partikularem zu halten vermag. Agamben propagiert hier den methodischen Vorrang der Signatur vor dem Zeichen: Während Zeichen gegebene Sachverhalte passiv repräsentieren, bezeichnen Signaturen die Welt nicht nur, sondern sind an ihrer Hervorbringung aktiv beteiligt. Die Studie schließt mit drei methodischen Optionen, wie sich heute mit dem Verhältnis von Signatur und Zeichen umgehen lässt. Auf die eine Seite stellt Agamben Derridas Dekonstruktion, »die die Signaturen suspendiert und leer durchdrehen lässt« (97). Für leer durchdrehende Zeichen kann sich Agamben in methodischer Hinsicht nicht begeistern. Auf die andere Seite stellt Agamben Foucaults Diskursanalyse, die das »Archiv der Signaturen« begreife als »Ensemble der Regeln, die über die Existenzbedingungen der Zeichen, den Umgang mit ihnen, die Sinneffekte, die sie hervorbringen, und ihr Neben- und Nacheinander in Raum und Zeit entscheiden« (98). Mit der Frage nach den Existenzbedingungen von Zeichen kann sich Agamben in methodischer Hinsicht schon eher anfreunden. Als dritte Option schließlich entwirft Agamben die Utopie einer analytischen Praxis, »die bis an den Punkt zurückgeht – und über ihn hinaus –, an dem die Trennung in Signatur und Zeichen, Semiotisches und Semantisches begonnen hat und die die Signaturen damit zu ihrer historischen Vollendung bringt«. (99) Was das genau heißen könnte, muss hier nicht geklärt werden; wichtig aber ist, dass damit das messianische Element in die Methode eingeführt worden ist. Auch methodisch ist Agamben unterwegs in eine Zukunft, von der sich »Vollendung« erhoffen lässt.

Genau diese Vollendung wird zum Zielpunkt von »Philosophische Archäologie« (101-138), der dritten und letzten Studie des Buches. Schon dieser Titel verweist auf Nähe und Ferne zu Foucaults Methodenbuch, zur Archäologie des Wissens. Wie Foucault, so geht es auch Agamben um die Archäologie als Gegenbegriff zur Geschichte. Anders als Foucault aber, der als Archäologe kein kluger Philosoph, sondern ein »glücklicher Positivist« sein will, [6] entwirft Agamben eine dezidiert philosophische Archäologie. Und auch hier geht es ihm – wie schon zuvor mit Blick auf das Paradigma und die Signatur – um die Frage nach einem Bereich zwischen dem Einzelfall und der allgemeinen Idee, auch hier wieder führt er durch einen Reigen von Autoren und Begriffen (Archetyp, Prototyp, Urbild, Ursprung, Herkunft, Entstehung, Anfang, Beginn, Genealogie, Quelle, Kanon, usw.), und auch hier greift er wieder einen zentralen Begriff von Foucault auf, um ihn in einem eigenen Sinn zu wenden: das historische Apriori.

Mit dem historischen Apriori umschreibt Foucault in der Archäologie des Wissens den seither innerhalb der Diskursanalyse gängig gewordenen einfachen Sachverhalt, dass die Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis, Wahrnehmung und Erfahrung nicht in der Zeitlosigkeit eines metaphysischen Subjektes, sondern in historisch je spezifischen und konkreten Konstellationen zu suchen sind. Agamben greift dieses pragmatische Konzept auf und wendet es zunächst ins Ontologische:

Das Apriori, das die Möglichkeit von Kenntnissen bedingt, ist deren eigene Geschichte, wenn man sie auf einem bestimmten Niveau befragt. Dieses Niveau ist das ontologische ihrer einfachen Existenz, das factum brutum ihres Sich-Gebens zu einer bestimmten Zeit und in bestimmter Weise – der ›Punkt ihres Hervortretens‹, um es in der Terminologie von Foucaults Nietzsche-Essay [...] zu sagen.

(116 f.)

Die ontologische Wendung von Foucaults historischem Apriori, die hier zunächst nur anklingt, wird von Agamben in der Folge dann mit Rückgriff auf Benjamins Thesen Über den Begriff der Geschichte verschärft. Aus einem einfachen ›Punkt des Hervortretens‹ wird nun das »plötzliche, blendende Erscheinen des Anbruchspunkts« (124), an die Stelle der historischen Arbeit tritt »das Sich-Offenbaren der Jetztzeit als der Zeit, die wir weder zu leben noch zu denken vermocht haben.« (ebd.)

Dieser hohe Ton führt für Agamben nicht etwa weg von Foucault, sondern unmittelbar zu ihm hin. Den Beleg dafür findet Agamben in Foucaults allerersten Text, dem 1954 publizierten Vorwort zu Ludwig Binswangers Traum und Existenz. [7] Was Foucault damals und zu diesem Anlass formuliert, begreift Agamben als präziseste und eindringlichste Beschreibung, die Foucault je zur Frage der Archäologie geliefert hat. Aus dieser Perspektive formuliert Agamben, dass die Archäologie Foucaults »die Dinge auf dem Niveau ihres Anbrechens und ihres reinen Daseins ergreift« (130). Und dieser ontologischen Fundierung der Archäologie fügt er eine messianische Wendung hinzu, von der nicht ganz deutlich wird, ob sie als eine interpretierende Beschreibung Benjamins oder als eine Darlegung der eigenen Methode zu verstehen ist: »Den Lauf der Geschichte, wie der Archäologe es tut, wider den Strich, in ihre Gegenrichtung zurückzulegen, ist somit nichts anderes als das Schöpfungswerk nochmals zu durchlaufen, allerdings in umgekehrter Richtung, um es dem Heil, von dem es stammt, wieder zurückzugeben.« (134) Agambens Ziel ist es, die eigene Methode auf diese Weise einer »letztwirksamen ontologischen Verankerung« (138) zuzuführen. Dieses Ziel muss man nicht teilen.

Agamben hat also ein Buch Zur Methode geschrieben. Es ist ein für sein Œuvre wichtiges Buch geworden, das dreierlei leistet. Erstens führt es in zentrale Methodenfragen, die vor allem für die Diskursanalyse, aber auch in einem weiteren Sinn für Wissensgeschichte, Epistemologie und Kulturtheorie von Interesse sind. Besonders hilfreich ist hier die Klärung der Frage, welchen epistemologischen Status Figuren wie der homo sacer oder der Ausnahmezustand haben können. Zweitens zeigt das Buch, welchen Anspruch Agamben mit seinen einzelnen Analysen verbindet. Hier geht es ums Ganze, ums Große, um die maximale Reichweite, um Ontologie, Messianismus, um Letztwirksamkeit. Drittens schließlich erscheinen damit auch Nähe und Ferne zwischen Agamben und Foucault in einem scharfen Licht: in der Entpolitisierung der Epistemologie (die etwas quer steht zur analytisch reichhaltigen, die Frage der Biopolitik und der Souveränität ins Zentrum stellenden Praxis des Homo-sacer-Projekts), in der Forcierung der Ontologie (die man vom frühen Foucault kennt, aber an der Foucault selbst nicht festgehalten hat) und schließlich in der Ausrichtung der Methode auf eine messianische Zukunft (die einige ansonsten Agamben zugeneigte Leser schon immer etwas ratlos zurückgelassen hatte).

Roland Borgards

Universität Würzburg

Institut für deutsche Philologie / Neuere Abteilung

Anmerkungen

[1] Die Originalausgabe erschien u.d.T. Signatura rerum. Sul metodo (Torino 2008). [zurück]

[2] Vgl. zu dieser Methode auch Eva Geulen, Giorgio Agamben zur Einführung, Hamburg 2005, 17 ff. [zurück]

[3] Johann Wolfgang Goethe, Schriften zur Morphologie, hg. von Dorothea Kuhn, Frankfurt a. M. 1987, 437. [zurück]

[4] Alle Zitate ebd. [zurück]

[5] Zur Verankerung Agambens in der Prima Philosophia vgl. auch Hubert Thüring, Die Sprache, das Leben. Giorgio Agamben denkt die Fluchtlinie der Literatur, in: Boris Previscic (Hg.), Die Literatur der Literaturtheorie, Bern u.a. 2010, 101-115, hier 103. [zurück]

[6] Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M. 1981, 182. [zurück]

[7] Vgl. Michel Foucault, Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits, Bd. 1, hg. von Daniel Defert et al., übers. von Michael Bischoff et al., Frankfurt a.M. 2001, 107-174. [zurück]

2011-02-08

JLTonline ISSN 1862-8990

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Roland Borgards, Methodenfragen. Giorgio Agamben erklärt sich selbst. (Review of: Giorgio Agamben, Signatura rerum. Zur Methode. Aus dem Italienischen von Anton Schütz. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009.)

In: JLTonline (08.02.2011)

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