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Jørgen Sneis

Nicht einfach schön. Theorie und Geschichte dünner und dichter ästhetischer Prädikate

Beschreiben und Bewerten: Zur Theorie und Geschichte dichter ästhetischer Prädikate. Internationales Wissenschaftsforum, Universität Heidelberg (IWH), 01.–03.10.2018

Über eine Reihe terminologischer Umwege geht die Rede von dünnen und dichten Prädikaten im Bereich der Ästhetik (thin vs. thick aesthetic concepts) auf den britischen Philosophen Frank Sibley zurück. Während dünne Prädikate nach Sibley rein evaluativ sind, also lediglich ein Werturteil zum Ausdruck bringen, ohne einen deskriptiven Gehalt zu haben (z.B. ›schön‹ oder ›misslungen‹), verbinden sich in den dichten ästhetischen Prädikaten evaluative und deskriptive Elemente: Der betreffende Gegenstand wird mit solchen Ausdrücken (z.B. ›harmonisch‹ oder ›disproportioniert‹) zugleich beschrieben und bewertet.[1] Bislang haben die Analyse und Typologisierung solcher Prädikate hauptsächlich in der philosophischen Ästhetik stattgefunden. Betroffen sind aber von dieser Problematik des Beschreibens und Bewertens letztlich alle Kunstwissenschaften und Spielarten der Kunstkritik, d.h. alle institutionell verankerten Versuche, sich (mit welchem Ziel auch immer) sprachlich über ästhetische Erfahrungen oder Gegenstände, die ästhetischen Charakter aufweisen, zu verständigen. Mit diesem Thema ist so nicht lediglich die literaturwissenschaftliche Wertungsforschung tangiert, sondern auch allgemein – mit einer Vokabel aus der klassischen Hermeneutik – die literaturwissenschaftliche subtilitas explicandi, also der Sprachgebrauch, die Darstellungsformen und die Argumentationspraxis in literaturwissenschaftlichen Texten. Aus interpretationstheoretischer Sicht verbindet sich mit diesem Thema etwa die Frage, wie ästhetische Prädikate mit Textbefunden korreliert und argumentativ als zutreffend ausgewiesen werden (können). Überhaupt könnte die Analyse von dichten ästhetischen Prädikaten dazu beitragen, den nach wie vor unterforschten Konnex von Wertung und Interpretation neu zu beleuchten.

Die international besetzte, von Peter König (Heidelberg) und Carsten Dutt (Notre Dame) organisierte Tagung war als interdisziplinärer Dialog angelegt, mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern ebenso aus der Philosophie wie aus der Musikästhetik, Kunstgeschichte und den verschiedenen Philologien. Im Fokus standen einerseits die Anwendungsbereiche, Gebrauchsweisen und Funktionen dichter ästhetischer Prädikate, unter Berücksichtigung der Historizität und Kontextsensibilität solcher wertenden Beschreibungen. Zur Diskussion stand aber andererseits auch die Frage, wie eine Sammlung und begriffsgeschichtliche Aufbereitung ästhetischer Prädikate aussehen könnte. Im Hintergrund steht hier ein von den Veranstaltern geplantes Lexikonprojekt, das mit dieser Tagung weiter vorangetrieben werden sollte.‬

Im Eröffnungsvortrag »Aesthetic Properties Through Thick and Thin« von Jerrold Levinson (College Park, Maryland) stand eine teils semantisch und pragmatisch, teils ontologisch orientierte Analyse von ästhetischen Eigenschaften im Mittelpunkt. In Analogie zu den dünnen und dichten Prädikaten sprach Levinson auch von dünnen und dichten ästhetischen Eigenschaften, wies aber zugleich darauf hin, dass mit Blick auf die dichten ästhetischen Eigenschaften mindestens drei Arten unterschieden werden müssen: perzeptive, affektive und evaluative. Als ein Charakteristikum von ästhetischen Eigenschaften hob Levinson hervor, dass es sich hier nicht einfach um rein deskriptiv erfassbare, sinnliche Eindrücke, sondern um Erscheinungsweisen höherer Ordnung (higher order ways of appearing) handelt. Dies wurde unter anderem am Beispiel der Adjektive gaudy und garish diskutiert, die insofern über ein beschreibendes Adjektiv wie multicolored oder colorful hinausgehen, als sie eine höhere affektive und evaluative ›Dichte‹ aufweisen. Ferner adressierte Levinson die Frage, ob ein Gegenstand (dichte) ästhetische Eigenschaften in einem ontologisch prägnanten Sinne ›habe‹ oder ob solche Eigenschaften vielmehr wahrnehmungsabhängig (response dependent) seien. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass oftmals graduelle Schattierungen zwischen perzeptiv erfassbaren, affektiv besetzten und evaluativen Eigenschaften bestehen. Überhaupt sprach sich Levinson für eine Differenzierung mit Blick auf den Eigenschaftsbegriff aus: Unter die Eigenschaften, die gemeinhin als ästhetische Eigenschaften bezeichnet werden, fallen auch solche, die nicht als Eigenschaften im eigentlichen Sinne des Wortes anzusehen sind.

Ebenso wie Levinson griff Dominic McIver Lopes (Vancover) in seinem Vortrag »How to Be a Neo-Sibleyan« das analytische Erbe Frank Sibleys auf, sprach sich aber zugleich für eine Akzentverschiebung auf die soziale Dimension ästhetischer Wertschätzung aus. Lopes legte zugrunde, dass eine stark kontextabhängige Korrelation zwischen den Eigenschaften und dem Wert des ästhetischen Gegenstandes besteht, wobei er ästhetische Wertschätzung als eine Handlung und den ästhetischen Wert als handlungsbezogen (actionable) beschrieb. Hier grenzte er sich nicht zuletzt von hedonistischen Schönheitstheorien ab: Ästhetischer Wert sei nicht einfach etwas, was Wohlgefallen (pleasure) auslöst, sondern konstituiere sich vielmehr erst in spezialisierten, in der Regel normativ imprägnierten sozialen Praktiken, wobei der Einzelne aufgrund besonderer, sozial anerkannter Kompetenzen in solchen Praxisgemeinschaften mehr oder weniger erfolgreich sein könne. In diesem Sinne gehe es bei der ästhetischen Wertschätzung nicht lediglich um subjektives Wertempfinden, sondern immer auch um die sozial anerkannten ›Ökonomien‹ von Leistung (achievement). Wie Lopes betonte, sind ästhetische Praktiken nicht in höherem Maße sozial als andere Praktiken, z.B. epistemische. Gleichzeitig hob er aber dezidiert die konstitutive Rolle solcher Praktiken im Bereich des Ästhetischen hervor: Außerhalb sozialer Praktiken, also außerhalb der wertbezogenen und -produzierenden Handlungen und Anschlusshandlungen, könne es so etwas wie ein Werk gar nicht geben. 

In seinem Vortrag »Revisiting the Aesthetic and the Non-Aesthetic« ging Simon Kirchin (Kent) von einem weithin angenommenen Fundierungsverhältnis aus: dass (dichte und dünne) ästhetische Eigenschaften auf nicht-ästhetischen Eigenschaften ›aufruhen‹. So sei z.B. die Röte eines Bildes selbst an und für sich nicht ästhetisch, aber womöglich ein notwendiger Bestandteil von dessen Eleganz (dichtes ästhetisches Prädikat) oder Schönheit (dünnes ästhetisches Prädikat). In Auseinandersetzung mit ausgewählten philosophischen Ansätzen in der Nachfolge Frank Sibleys, in erster Linie mit Nick Zangwill, vertrat Kirchin die Ansicht, dass die Grenze zwischen dem Ästhetischen und dem Nicht-Ästhetischen weniger trennscharf ist, als sie zunächst erscheinen mag. Seine Argumentation war hierbei an den amerikanischen Philosophen Hilary Putnam angelehnt, der die auf David Hume zurückgehende fact/value-Dichotomie in Frage gestellt hatte. Laut Kirchin lässt sich eine klare Demarkationslinie zwischen dünnen und dichten ästhetischen Prädikaten nicht ziehen; vielmehr sei je nach Kontext eine graduelle Abstufung der ›Dichte‹ wie auch eine Migration einzelner Prädikate zwischen diesen beiden Kategorien prinzipiell möglich – ein Tatbestand, der auch für die Unterscheidung zwischen dem Ästhetischen und dem Nicht-Ästhetischen gelte.

Am Beispiel eines vermeintlich rein beschreibenden Textauszugs, der einem Reisebericht entnommen war, wies Andreas Dorschel (Graz) in seinem Vortrag »Die unreine Beschreibung« die Vorstellung zurück, es könne so etwas wie eine reine Beschreibung geben, die Anspruch auf absolute Objektivität oder Richtigkeit erheben könnte. Dorschel hob hierbei mehrere Elemente hervor, die eine Beschreibung gleichsam ›verunreinigen‹. Allein in der Selektion der Gesichtspunkte, unter denen etwas beschrieben wird, drückten sich z.B. Wertmaßstäbe aus, womit jede Beschreibung immer schon wertend sei. Ferner sei eine Beschreibung auch immer schon deutend, sofern etwas als etwas beschrieben wird. In diesem Sinne könne etwa eine Handlung nicht beschrieben werden, ohne – dies liege im Handlungsbegriff – dem Handelnden eine Intention zu unterstellen, die sich ihrerseits weder wahrnehmen/beobachten noch direkt überprüfen lasse. In diesem Zusammenhang problematisierte Dorschel auch die Bedeutung von Zeugenschaft bzw. von der persönlichen Wahrnehmung des Beschriebenen und die Grenzen zwischen Beschreibung und einer plausiblen Erfindung. Besonders hervorgehoben wurde auch die Rolle der Phantasie beim Beschreiben wie auch der Einsatz von Vergleichen und Metaphern, insbesondere mit Blick auf ästhetisch wertvolle Phänomene wie etwa Musikwerke, die diskursiv schwer zu fassen sind und sich ohne den Rekurs auf Vergleiche und Metaphern kaum beschreiben lassen.

Stand in den ersten Vorträgen vor allem die theoretische Konzeptualisierung von Beschreibungs- und Bewertungsvorgängen und von dichten ästhetischen Prädikaten im Mittelpunkt, so widmeten sich andere Vorträge eher in Fallstudien der historischen Genese und Gebrauchsgeschichte von solchen Prädikaten. Von Elisabeth Oy-Marra (Mainz) wurden aus kunsthistorischer Perspektive zwei »Spielarten der Vollendung: Leichtigkeit (facilitá) und Weichheit (morbidezza) als ästhetische Wertungen im Wortfeld der Grazia« in den Blick genommen. Als Ausgangspunkt dienten die Viten Giorgio Vassaris, die bei der Herausbildung einer beschreibenden und bewertenden Begrifflichkeit in der Kunstkritik der Neuzeit eine bedeutende Station gewesen seien. Nachgezeichnet wurde hierbei die Genealogie der Begriffe facilitá und morbidezza, die in der Nachfolge Vasaris zugleich Aspekte der künstlerischen Arbeitsweise und der besonders lebensechten Darstellung bezeichneten und auch als Ausdruck von höchster künstlerischer Vollendung fungierten. Zeigen konnte Oy-Marra, dass die von Vasari eingeführten Begriffe und Maßstäbe über Jahrhunderte von Künstlern übernommen wurden und in deren Selbstdarstellungen Niederschlag fanden – beispielsweise von Bellori, der den Begriff der morbidezza von der Malerei auf die Skulptur übertrug und damit bestimmte Tendenzen in der bildenden Kunst des 17. Jahrhunderts auf den Punkt brachte. 

In ihrem Vortrag »graziös – monströs. Zur Frage der ›Grazie‹ im 20. Jahrhundert« skizzierte Sabine Mainberger (Bonn) zunächst einige Hochphasen in der Geschichte des Begriffs ›Grazie‹ (charis, gratia), um dann zu zeigen, wie bestimmte Bestände der bis in die frühgriechische Antike zurückreichenden Begriffsgeschichte in Paul Valérys Überlegungen zum Tanz in modifizierter Form wiederkehren. Mainberger hob den außerordentlichen Facettenreichtum des Graziebegriffs hervor, in dem sich u.a. ästhetische, soziale, ethische, theologische, juristische und mythologische Elemente gebündelt finden. Mit Verweis unter anderem auf die drei Grazien, die seit Seneca in der kunstgeschichtlichen Ikonographie das Geben, Nehmen und Erwidern verkörpern, widmete sie sich der Frage, wie ethische, sozialästhetische und kunsttheoretische Dimensionen ineinandergreifen und sich der Graziediskurs mithilfe des auf Marcel Mauss rekurrierenden Gabendiskurses reformulieren lässt. Die modernen ›Brechungen‹ in der Konzeptualisierung von Grazie, die bei Valéry (u.a. im Anschluss an Mallarmé), aber auch bei anderen Modernisten zu heterokliten Begriffskombinationen und semantischen Inversionen führen, wurden hauptsächlich an dem Text Degas Danse Dessin exemplifiziert, was deutlich werden ließ, wie komplex begriffshistorische Entwicklungslinien im Bereich der Ästhetik angelegt sein können. Aus der Analyse von Valérys Überlegungen leitete Mainberger ab, dass Grazie in der Moderne nicht nur im Tanzdiskurs ein valides ästhetisches Konzept ist, sondern auch als Paradigma für das Ästhetische überhaupt verstanden werden kann.

Andrea Albrecht (Heidelberg) wies in ihrem Vortrag »Schönheit = Wahrheit? Über ästhetische Gütekriterien mathematischer Erkenntnis« darauf hin, dass Mathematiker oft von der Schönheit und Eleganz ihrer Formeln und Beweise schwärmen, dass aber diese Schönheit zugleich weder als ein notwendiges noch als ein hinreichendes Kriterium für die Richtigkeit mathematischer Erkenntnis gilt. Vor diesem Hintergrund ging sie der Frage nach, welchen Bezugsbereich und welche Funktionen die oft beschworene mathematische Schönheit hat und an wen sich solche Beteuerungen richten. Dies geschah vor allem am Beispiel mathematischer Selbstbeschreibungen, d.h. nicht-mathematischer Texte von Mathematikern über Mathematik, in denen die Ästhetik des Mathematischen besonders häufig zum Ausdruck gebracht wird. Solche Texte, die sich sowohl an Fachkollegen als auch an gebildete Laien wenden, liefern – so Albrecht – weder authentische Einblick in die Innenwelt der betreffenden Mathematiker noch belegen sie eine tatsächliche Korrespondenz zwischen Schönheit und Wahrheit; dafür geben sie aber vielfach Aufschluss über die historisch variante Interessenlage und das Selbstverständnis des Mathematikers in der Gesellschaft, über mathematische Auto- und Heterostereotypen, die Konstitution der mathematischen scientific persona und das wechselseitige Bedingungsverhältnis von kultureller und wissenschaftlicher Imagologie.

In seinem Vortrag »Positivierte und historisierte Negativität. Zum Umgang mit negativen Prädikaten in der Beschreibung und Bewertung moderner Kunst« widmete sich Carsten Dutt (Notre Dame) den Funktionen und der explanatorischen/erhellenden Kraft einer Positivierung von prima facie negativen Prädikaten durch adverbiale Bestimmungen. Man vergleiche z.B. das Urteil »x ist dissonant, unverständlich, verstörend« mit dem Urteil »x ist wunderbar dissonant, faszinierend unverständlich, subtil verstörend«. Wie Dutt betonte, kann es sich hier bei den prima facie negativen Prädikaten sehr wohl um deskriptiv treffende Prädikate handeln, die aber in evaluativer Hinsicht einer (typischerweise) funktionalen Explikation bedürfen. Mit Verweis auf Hugo Friedrichs Die Struktur der modernen Lyrik, in der der Ausdruck ›Dissonanz‹ als eine Leitvokabel fungiert, warf Dutt die Frage auf, wie die besondere ästhetische Valenz moderner Kunst und ästhetische Erfahrungen im Umgang mit dieser Kunst artikulierbar gemacht werden können. Die Positivierung von prima facie negativen Prädikaten sei hierbei nicht substituierbar, wenn es darum geht, ein Vokabular für die dissonanten Spannungen zu entwickeln, die der Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts bzw. nach der Auflösung ›klassischer‹ Werkvorstellungen und Kunstnormen eigen sind. 

Miriam Tag (Heidelberg) untersuchte in ihrem Vortrag »Vom Werk zur Sprache. Ästhetische Kritik als poetische Praxis« die Darstellung von faktisch existierenden Werken der Malerei und bildenden Kunst im Medium der Literatur (Rainer Maria Rilke, Ernst Jandl u.a.), mithin auch die Überführbarkeit der Charakteristika solcher Werke in Sprache. Tag unterschied hier zwischen der expliziten Benennung eines Kunstwerks und seiner Beschreibung im literarischen Text, im letzteren Fall auch unter Anwendung dichter ästhetischer Prädikate. Bei poetischen Darstellungen von Werken der Malerei und bildenden Kunst, so Tag, lassen sich verschiedene Arten und Stufen der Wertzuschreibung ausmachen: Von einer Bewertung des betreffenden Werks mittels dichter ästhetischer Prädikate unterscheiden sich etwa explizit gemachte Werturteile im literarischen Text oder auch Wertschätzungen durch Selektion, also allein durch die Tatsache, dass das betreffende Werk zum Gegenstand einer poetischen Artikulation gemacht wird. Nach Tag lassen sich an dieser poetischen Praxis die Verwandtschaft der Künste und die Modi des Wertens und Umwertens von Kunst im Medium der Kunst beobachten.

In einer abschließenden Sektion stand zur Diskussion, ob und wie digitale Methoden bei der Sammlung und Untersuchung dichter ästhetischer Prädikate eingesetzt werden können. Hubertus Kohle (München) stellte in seinem Vortrag »Ästhetik bottom up – eine Internet-gestützte crowd-sourcing-Anwendung zur Generierung von Beschreibungsdaten für Kunstwerke« die Internetplattform ARTigo.org vor, auf der Kunstwerke spielerisch von einer großen Anzahl von Nutzern mit Schlagwörtern/Metadaten versehen werden können. Bislang wurden für ca. 50.000 Bilder mehr als 10 Mio. Schlagwörter gesammelt. Diese Annotationen tragen, so Kohle, nicht nur zur besseren Auffindbarkeit der Bilder bei, sondern auch zu ihrer Beschreibung und als Heuristik zu ihrer Analyse. Die Internetplattform sei ein Versuch, die sehr zeitaufwändige Annotation von Bildern durch die ›Weisheit der Masse‹ voranzutreiben. Jochen Bär (Vechta) berichtete von seiner Arbeit an dem begriffsgeschichtlichen Nachschlagewerk Zentralbegriffe der klassisch-romantischen »Kunstperiode« (1760–1840), in dem auf breiter Basis der literatur- und kunsttheoretische Diskurs der Goethezeit lexikographisch dokumentiert wird. Hierbei adressierte Bär unter anderem die methodischen Schalt- und Problemstellen einer historischen Lexikographie; die Notwendigkeit einer vergleichenden hermeneutischen Perspektive, die den gesamten Sprachgebrauch des betreffenden Zeitraums berücksichtigt; und die Möglichkeiten einer nutzerfreundlichen Präsentation der historischen Rekonstruktionsarbeit. Keno März (Heidelberg) präsentierte schließlich in seinem Vortrag »Ontologien in der Informatik: Objektive Datenmodellierung« Modelle, die gegenwärtig zum digitalen Datenmanagement in der Medizin Verwendung finden, und stellte dabei zur Diskussion, inwieweit bewährte Modelle aus diesem Bereich auf ästhetische Lexikonprojekte übertragbar sind. 

Neben den einzelnen Vorträgen wurden in einem Podiumsgespräch (mit Christian Bermes, Hubertus Busche, Carsten Dutt, Eva Geulen und Peter König) die Forschungsdesiderate, Erkenntnischancen und Methodenprobleme eines historischen Lexikons ästhetischer Prädikate diskutiert. Bemerkt wurde allgemein das Fehlen eines derartigen Nachschlagewerks, trotz punktueller Überschneidungen mit Lexika wie den Ästhetischen Grundbegriffen oder dem Historischen Wörterbuch der Philosophie. In Gestalt der keinesfalls isoliert, vielmehr je und je in epochal oder mikroepochal charakteristischen Clustern und Netzen gegebenen Prädikaten ästhetischer Deskription und Wertung stünden freilich nicht ästhetische Grundbegriffe, sondern ›Artikulationsbegriffe‹ zur Diskussion, die insofern reichhaltiger und komplexer seien, als sie historisch variante Möglichkeiten der Artikulation von Geschmacksurteilen und Gehalten ästhetischer Erfahrung anzeigen. Bemerkt wurde in diesem Zusammenhang auch in Bezug auf die bisherige philosophische Diskussion über dichte ästhetische Prädikate, dass dort eine dezidiert diachrone Untersuchungsdimension weitgehend fehlt. Jenseits der methodischen und praktischen Fragen betreffs der Sammlung, begriffsgeschichtlichen Aufbereitung und lexikographischen Präsentation von ästhetischen Prädikaten wird mit diesem Lexikonprojekt das Ziel verfolgt, ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem die historisch variablen, meist implizit bleibenden Normen, Werte und Regeln ästhetischer Urteilsbildung in ihrer Genealogie detailliert nachvollzogen werden können. Von der Fruchtbarkeit dieser Perspektive konnten die Tagungsbeiträge mehrfach Zeugnis ablegen. Eine Publikation der Beiträge ist von den Veranstaltern geplant.

Anmerkungen

[1] Zur Begrifflichkeit siehe die Ankündigung der Tagung: https://www.uni-heidelberg.de/einrichtungen/iwh/Koenig_2018.html (zuletzt abgerufen am 29.11.2018). Von dünnen und dichten Prädikaten wird – wie die Veranstalter auch in ihrem Tagungsexposé bemerken – nicht nur in der Ästhetik gesprochen, sondern auch in anderen Bereichen, beispielsweise in der Meta-Ethik (Bernard Williams u.a.). [zurück]

2019-02-09

JLTonline ISSN 1862-8990

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Jørgen Sneis, Nicht einfach schön. Theorie und Geschichte dünner und dichter ästhetischer Prädikate (Beschreiben und Bewerten. Zur Theorie und Geschichte dichter ästhetischer Prädikate. Internationales Wissenschaftsforum, Universität Heidelberg (IWH), 01.–03.10.2018.)

In: JLTonline (09.02.2019)

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