Tom Kindt

Jan Urbich

Theorie nach dem Ende der Theorie

Christian Kohlroß, Literaturtheorie und Pragmatismus oder Die Frage nach den Gründen des philologischen Wissens. Tübingen: Niemeyer 2007. 286 S. (Preis: EUR 48,00). ISBN: 978-3-484-22067-6.

1. Vorbemerkung

Christian Kohlroß’ konzise Studie zu den Bedingungen und Möglichkeiten literaturwissenschaftlichen Wissens über Literatur, die den ersten Teil eines Großprojektes darstellt, dessen zweiter Teil das Wissen in Literatur thematisieren soll (unter dem angekündigten Titel »Lite­rarische Epistemologie«), ist geeignet, sowohl der gegenwärtigen Diskussion um das Verhält­nis von Literatur und Wissen wie auch der Methodendiskussion des Faches neue und wichtige Impulse zu verleihen. Kohlroß’ Buch besetzt selbstbewusst den Zeitpunkt des Eintritts in eine theoretische Post-Postmoderne: als Deklaration des Scheiterns der Theorie- und Paradigmenpluralität, die nicht mehr als letztes und unhintergehbares Wort des Nachdenkens über Literatur hingenommen wird, und als Erklärung ihrer theoretischen Unbegründbarkeit, die den Wechsel hin zum pragmatistischen Theorieprofil als Wechsel aus dem Paradigmenwechsel heraus zu inszenieren sucht.

2. Synopsis

Ich werde im Folgenden den Fokus des inhaltlichen Referates auf Kohlroß’ Versuch richten, die Literaturtheorie aus dem Geist des Pragmatismus heraus neu zu begründen, und seine historische Zurückweisung der bisherigen literaturtheoretischen Paradigmen, die sich aus den kurzen und übersichtlichen Abschnitten des ersten Teils leicht im Einzelnen wie im Ganzen erschließen lässt, gänzlich aussparen: bildet doch der »historische Teil« zwar die Voraussetzung, aber nicht den Begründungszusammenhang seiner Theorie.

Kohlroß beginnt den zweiten Teil, der der Explikation seiner »pragmatistischen Literaturtheorie« gewidmet ist, mit einer starken These: der Behauptung einer Teleologie der historischen Literaturtheorien auf die pragmatistische Lösung hin. Deshalb versucht er im umfangreichsten Kapitel der Arbeit einen »pragmatistischen Begriff der Kunst« zu geben, um sein Literaturmodell in einem allgemeineren Kunstmodell zu fundieren. Mit Shusterman fasst Kohlroß vorläufig die ästhetische Erfahrung als eine kommunikative Handlung, die Subjekt und Objekt vermittelt und die Regeln ihres Vollzuges in den Kunstwerken selbst erzeugt bzw. exemplifiziert. Kunst wird so zu einem selbstregelgebenden System, dessen Rezeptionsnormen in jedem Werk selbst gesetzt bzw. diskutiert werden und deshalb historisch hochveränderlich sind. »Ästhetisch ist, Kunst ist, was zu bestimmten Zeiten als das eine oder andere gilt und nicht dasjenige, was begriffliche Analyseverfahren als ein solches ausweisen« (169). Und doch versagt laut Kohlroß die pragmatistische Ästhetik, wenn sie dieses historische Geschehen nicht nur als ein kontingentes, sondern sinnvolles und damit verstehbares auffassen muss (vgl. 170).

An dieser Stelle schiebt Kohlroß eine phylogenetisch-geschichtsphilosophische Zwischenbetrachtung ein, die den Repräsentationsbegriff und darüber hinaus seine Verwendung im Medium der Kunst erklären soll (171f.): die Grunderfahrung des Menschen, dass sich ihm »Welt und Wirklichkeit« entziehen und daher repräsentiert werden müssen, geht phylogenetisch dem Bewusstsein ihrer selbst zuvor. Das Bewusstsein der Repräsentationsbedürftigkeit der Wirklichkeit als Raum der »Beobachtung der Beobachtung« unterläuft nun die Repräsentation selbst und zwingt den Menschen, durch immer neue Repräsentationen den Hiatus zwischen Denken und Sein zu überwinden. Kunst wird von Kohlroß einleuchtend als Bewusstsein der Repräsentation mitsamt der Repräsentation dieses Bewusstseins verstanden: »Sie [die Kunst, J.U.] richtet ihre Aufmerksamkeit gerade nicht auf den Gegenstand der Repräsentation, sondern auf den Vorgang des Repräsentierens. Dadurch befreit sich das Bewusstsein von der Macht, die die wahrgenommenen Dinge oder die Bestimmtheit des Seins auf sein Wahrnehmen und Denken ausüben.« (174) Und maximenhaft heißt es: »Die Kunst [...] repräsentiert die Repräsentation.« Dabei gibt Kohlroß vier Kriterien der Unterscheidung von Kunst und Nichtkunst an:

  1. Das phylogenetische Kriterium: Objekte der Kunst resultieren aus der »ursprünglichen Repräsentationsbedürftigkeit des Menschen«.

  2. Das symboltheoretische Kriterium: Objekte der Kunst repräsentieren ihr Repräsentieren.

  3. Das produktionstheoretische Kriterium: Objekte der Kunst sind zu einem solchen Gebrauch geschaffen und eignen sich deshalb dafür in besonderer Weise.

  4. Das institutionentheoretische Kriterium: Objekte der Kunst werden von Experten als ästhetische Objekte bestimmt.

Um von diesem Kunstbegriff nun aber zu einem Literaturbegriff herabzusteigen und damit die Bedingungen der Möglichkeit des Wissens über Literatur zu klären, muss das spezifische Bedeutungsgeschehen der Literatur verstanden sein: »Literaturtheorie ist deshalb auf eine umfassende Theorie des Bedeutens angewiesen.« (211)

Als Ausgangsbasis versucht sich Kohlroß deshalb an einer dreiteiligen Nomenklatur der Antworten, welche die Philosophie bisher auf die Frage nach der »Bedeutung von Bedeutung« gegeben hat:

  1. Die denotative Bedeutung der Bedeutung. In der Identifikation von Bedeutung und Bezug wird allein der Ausdruck bedeutend, der auf eine sprachunabhängige Instanz referiert.

  2. Die repräsentationalistische Bedeutung der Bedeutung: Bedeutungen werden von ihrer Signifikatsseite her als »Vorstellungen, Ideen oder mentale Konzepte« (212) gefasst, die als Bewusstseinsphänomene sprachunabhängig existieren. Hier stellt sich sogleich das Problem der »intersubjektiven Zugänglichkeit« der zwar sprachlich vermittelten, letztlich aber mentalen Bedeutung.

  3. Die »Gebrauchstheorie der Bedeutung« verlagert das zentrale Merkmal der Bedeutung vom Denotat oder Subjekt in die Sprache selbst und bestimmt Bedeutung als den Gebrauch, den ein Wort im Gesamt einer Sprache zulässt. (213)

Kohlroß nun sieht sich als Vermittlungsinstanz, die einen Bedeutungsbegriff zu entwickeln sucht, welcher sowohl die verschiedenen Bedeutungstheorien als auch den Gegensatz von künstlicher und natürlicher Bedeutung aufzuheben vermag (vgl. 217). Dafür bietet er folgende Definition an: »Das Bedeutungsgeschehen besteht aus der Konjunktion der Geschichte der Erscheinungsweise eines Objekts mit der aus dieser Geschichte ableitbaren Erscheinungsweise dieses Objekts in der Zukunft.« (218) Zuerst einmal ist hier der anti-essentialistische wie auch anti-objektivistische Impetus wichtig: Bedeutung wird als ein Geschehen (und nicht selbst als ein Objekt) gefasst, das allen Objekten verliehen werden kann, die eine Geschichte haben können; die zeitliche Dimension der Dinge und Sachverhalte wird also als konstitutiv für ihre mögliche Bedeutsamkeit gesehen. Ein Objekt bedeutet dann etwas, wenn es eine individuelle bzw. kollektive Geschichte seiner Verwendungs- bzw. Daseinsweisen besitzt, die dem Rezipienten zugänglich ist und ihm in dieser Hinsicht etwas sagt.

In dieser Fassung ist für Kohlroß zugleich die Ausweitung des Bedeutungsbegriffes über das sprachliche Bedeutungsgeschehen hinaus impliziert: Das »natürliche Bedeuten« von Gegenständen, das sich z.B. in den kausalen Reiz-Reaktionsabläufen unserer Körper als sprachlose Geschichten einlagert und uns praktisches Weltwissen in den Formationen unserer Erfahrungen ermöglicht, wird als elementarstes und grundlegendstes Bedeutungsgeschehen begriffen (220f.). Die Überführung dieser Erfahrungsbedeutungen in sprachliche Bedeutungen prägt individuelle zu sozialen Erfahrungen um und schafft über ihre Kommunikabilität sowohl soziale Standards als auch eine zunehmende Unabhängigkeit von Erfahrungsbeständen. Bedeu­tungen also sind für Kohlroß Erfahrungsgeschichten bzw. Narrative zeitlicher Erfahrungszusammenhänge. Poesie wird von Kohlroß als experimenteller Umgang mit dieser ersten Welt der bedeutsamen Erfahrungen verstanden, der »eine zweite Welt erschafft, die mit der ersten Welt, anhand derer wir die Erfahrungen gemacht haben, verglichen werden kann.« (225) Im sprachlichen Bedeutungsgeschehen als »Erscheinungsweise sprachlicher Objekte« sind also immer schon sinnliche mit sprachlichen Erfahrungen vermittelt und damit Ursachen und Gründe, Physisches und Mental-Sprachliches ineinander verwoben.

Die innere Differenziertheit von Bedeutungen erläutert Kohlroß weiterhin und im Rückgriff auf die notwendige Bedingung von sprachlichen Bedeutungen, »sich mittels Sprache auf Gegenstände zu beziehen« (228), in der Art und Weise, wie »sprachliche Objekte« (die Inhalte bzw. Signifikate) und »natürliche Objekte« (die Gegenstände oder Referenzen) als unterschiedene miteinander relationiert werden bzw. aufeinander führen. »Wenn wir Bedeutungen gebrauchen, treffen wir ständig Unterscheidungen zwischen Klassen oder Ebenen von Objekten« (230). Zu behaupten, dass ein Objekt einer bestimmten Klasse einen Gegenstand einer anderen Klasse hat, heißt nun nach Kohlroß, einen Schluss aus der Erscheinungsweise eines Objekts einer Klasse zu ziehen, der sich in der Klasse eines anderen Objektes fortsetzt und dort zum Ausdruck bringt (vgl. 231). Beschreibungen als sprachliche Objekte beziehen sich also über Wahrnehmungen von Dingen auf diese Dinge als auf »Anderes«: »Aber dieser Gegenstand zeichnet sich als Gegenstand dadurch aus, dass er nicht auf derselben Ebene wie das beschriebene Objekt vorkommt.« (232) Genau das aber scheint für Literatur nicht zuzutreffen; damit diskutiert Kohlroß das Fiktionalitätsproblem als eigenwillige Konfiguration von Bedeutungsbeziehungen: »Was immer sie [literarische Texte, J.U.] beschreiben, existiert doch offenbar nicht unabhängig von dieser Beschreibung.« (233)

Und doch sind die Inhalte der Literatur nicht völlig textimmanent und bloß auf die Konstruktion beschränkt, die sie im einzelnen Werk erfahren; sie gewinnen ein Eigenleben und eine Eigenbedeutsamkeit, die sie aus Inhalten auch dann zu Gegenständen macht, wenn sie keine referentiellen Gegenüber auf anderen Objektklassenebenen haben. Auf der Ebene der sprachlichen Objekte liegt in deren immanenten syntaktischen Potentialen die Möglichkeit begründet, das Bild einer Welt zu erzeugen, »das kein Abbild der Welt, sondern eine eigene, wenn man so will: zweite Welt ist.« (235) Diese Fiktionalität als Produkt einer experimentellen ars combinatoria ist allerdings laut Kohlroß nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für Poesie. Die sich wie das Bedeutungsgeschehen nur im Vollzug erfüllende Darstellung der Darstellung bleibt so auf ihre Verfahrenshandlung konstitutiv angewiesen; sie geht nicht in der resultativen Verdinglichung auf. Die Vergegenwärtigung der Vergegenwärtigungsverfahren wird möglich nur innerhalb der Vollzüge, die sie zur Aufklärung über sich selbst bringt.

Wie aber kann eine solche Bedeutungstheorie für das Kerngeschäft der Literaturwissenschaft, die Interpretation literarischer Texte, und überdies für die Theorie dieser Texte sowie ihrer Interpretationen in der Literaturtheorie fruchtbar gemacht werden? Kohlroß versucht die Antwort darauf im Rückgriff auf Davidsons Konzept der Radikalen Interpretation zu geben: Dieses abschließende Kapitel enthält zugleich die wesentlichen Bestimmungen von Kohlroß »neuem« Begriff der Literaturtheorie.

Zu Beginn bestimmt Kohlroß den Begriff des Textes als Gegenstand, der selbst noch einen Gegenstand hat, und damit analog zu »Sprache« und »Bewusstsein«, die ebenso intentional strukturiert sind. Und doch, das war Kohlroß’ Pointe des ersten Teils seines Buches, ist es unzulänglich, poetische Texte nach den Modellen von Sprache und Bewusstsein zu begreifen (237): Poetische Texte gehen nicht in Bewusstseinsformen von Autor und Leser auf (d.h. ihre Bedeutung ist nicht als Rückschluss ihres Verhaltens sicherbar), und ihre Bedeutung ist auch nicht nur auf Zeichenhaftes beschränkt. Im Pragmatismus, so glaubt Kohlroß, ist die Philosophie einer dafür notwendigen umfassenden Bedeutungstheorie recht nahe gekommen: Literatur ist das Medium, welches – ausgehend von der zeitlichen Konstitution von Bedeutung als Geschichte des handelnden Umgangs mit dem bedeutsamen Objekt – »Geschichten« von eben diesen zeitlichen Konstitutionsformen von Bedeutungen erzählt, also das Repräsentieren von Objekten durch Bedeutungen wiederum repräsentiert (239). Zu einer »Interpretationstheorie« wird eine solche »Bedeutungstheorie« jedoch erst dann, »wenn sie uns zugleich über die Praxis aufklärt, mit der wir unsere interpretativen Aussagen über jene literarischen Äußerungen verifizieren« (241), d.h. die Wahrheit interpretativer Aussagen an der »Praxis ihrer Rechtfertigung« errichtet: »Es geht für Pragmatisten auch gar nicht darum, die wahre Bedeutung eines sprachlichen Kunstwerks herauszufinden, denn so etwas wie eine unabhängig von ihrer Interpretation gegebene, in den Texten verborgene literarische Bedeutung gibt es für sie gar nicht.« (240)

Diese »Praxis der Rechtfertigung« muss eine der wechselseitigen Begründung sein. Der literarische Text und seine »Übersetzung« in den »Bereich wissenschaftlichen Denkens und Darstellens« müssen wechselseitig ineinander gründen bzw. sich gegenseitig in ihren Bedeutungsformationen begründen (242). Damit soll der infinite Regress jeder Übersetzungstheorie ausgeschaltet werden (vgl. 243): Die Übersetzung einer Objektsprache in eine Subjektsprache benötigt eine Metasprache, welche die Übersetzung regelt bzw. die Bedeutungen beider Sprachsysteme verlinkt; aber auch diese Metasprache muss wieder verstanden werden, womit sie zur Objektsprache wird, die in eine Subjektsprache übersetzt werden muss, usw. ad infinitum. Literaturtheorien als Metasprachen, die bestimmen wollen, wie und auf Grund welcher Verbindung eine Objektsprache (der literarische Text) in eine Subjektsprache (die Interpretation des Textes) übersetzt werden kann, müssen, um den infiniten Regress zu vermeiden, selbsttransparent sein: »Die Subjektsprache, in die ein literarisches Sprachstück übersetzt wird, und die Metasprache der Übersetzungstheorie, in der das Übersetzungsverfahren beschrieben ist, müssen vereinigt werden.« (245)

Also – das ist die (frühromantische) theoretische Vorgabe von Kohlroß – müssen Interpretation und Theorie der Interpretation zusammenfallen. Die literaturwissenschaftliche Interpretation muss die Regeln ihres Vorgehens selbstevident an sich haben und in ihrem Vollzug zur Ausweisung bringen: Das heißt, das die Art und Weise ihres Vorgehens am Text sich nur durch das Vorgehen selbst entwickelt und begründet; sie kann nicht unabhängig davon als allgemeine Methode aufgestellt werden. Damit das möglich ist, schlägt Kohlroß den Bogen zurück zum Ausgangspunkt und lässt alle drei Ebenen ineinanderlaufen: »Was kommt dann überhaupt noch als Interpretation in Frage? Nun ganz offenbar nur noch eines, nämlich die Sprache, aus der übersetzt wird, die Objektsprache.« (245) Diese Empirisierung der Literaturtheorie und Theoretisierung der Interpretation führt zur Absage an interpretationsunabhängige Theoriegebäude metatheoretischer Ausrichtung: »Es gibt überhaupt nichts, worauf es sich da zu einigen gäbe. Es gibt nur das jedesmalige Übersetzen oder Interpretieren.« (245)

Zur Skizzierung einer solchen Übersetzungstheorie greift Kohlroß über Davidson auf Tarskis Wahrheitstheorie zurück (vgl. 247f.), die er geltungstheoretisch folgendermaßen umformuliert: »Die Bedeutung eines Aussagesatzes [...] zu kennen heißt demnach, zu wissen, unter welchen Umständen er wahr ist.« (248) Die Erfassung der Bedeutung eines objektsprachlichen Satzes besteht nicht in der Übersetzung in einen bedeutungsgleichen subjektsprachlichen Satz (Interpretation), sondern in der Angabe der Bedingungen in einem metasprachlichen Satz, unter denen der objektsprachliche Satz wahr ist. Das hat zur Konsequenz, dass die »Aufgabe der Interpretation [...] nicht mehr in der Zuweisung von Bedeutungen« (249) besteht, sondern in der Beschreibung der empirischen wie sprachlichen Kontexte, in denen den objektsprachlichen Sätzen Wahrheit bzw. – propositionsunabhängig gefasst (vgl. 251) – Bedeutung zukommt. Demnach zielen »Literaturtheorien als Interpretationstheorien« (252) darauf, nicht zu sagen, was mit einer literarischen Äußerung »eigentlich gemeint oder ausgedrückt wird, sondern nur, unter welchen Umständen sie etwas meint und zum Ausdruck bringt. Sie übersetzen daher auch nicht einfach Sätze (oder Äußerungen) der literarischen Objektsprache in die wissenschaftliche Subjektsprache; vieles von dem, was Literatur sagt, kann bekanntlich auf keine andere als auf literarische Weise gesagt werden.« (252)

Das Schema »s hat genau dann eine Bedeutung (in Y), wenn p« (256) soll demzufolge die Grundstruktur literaturtheoretischer Aussagen abgeben, wobei s für den objektsprachlichen und p für den zugleich subjekt- und metasprachlichen Ausdruck steht, der »genau diejenigen Bedingungen angibt, unter denen s eine Bedeutung hat.« (254) Dabei sind dergestalt beide Ebenen in dem von der Literaturtheorie geforderten wechselseitigen Begründungsverhältnis verspannt: »Welches die Bedeutungsbedingungen von s sind, erläutert p; welches diejenigen des metasprachlichen p-Satzes sind, erläutert s.« (255) So wird der infinite Regress der metatheoretischen Aussageebene vermieden und die Begründung des Wissens über Literatur in der Literatur selbst gegründet (256). Eine besondere Bedeutung kommt dem Y zu, das als »bestimmtes Allgemeines« für die der »Literatur und Literaturwissenschaft [also s und p, J.U.] gemeinsamen Bedingungen des Bedeutens« (256) steht und somit das Gesamt der »Welt« meint, welche s und p teilen.

Das Besondere dieser Interpretationstheorie soll dabei darin liegen, die Bestimmungsformationen dieser »Welt« nicht immer schon ideologisch festgelegt und der Interpretation der Literatur vorausgesetzt zu haben, sondern sie als jeweils neue aus und in der Interpretation selbst freizulegen (257). Deshalb läuft eine Interpretationstheorie diesen Zuschnitts laut Kohlroß auf die Aufgabe zu, »eine aus Möglichkeiten des Bedeutens bestehende Welt zu erkunden, die der Sprache der Literaturwissenschaft [...] und der Sprache der Literatur gemeinsam ist.« (258) Dabei liegt die Bedeutungsbedingung der mit der Subjektsprache verschmolzenen Metasprache nicht in einer weiteren Metaschleife, sondern in den sprachlichen Grundbedingungen des Sprechens überhaupt als gemeinsam geteilte Muttersprache, das Objekt- und Subjektsprache verbindet: eine Absage an die Differenzierungsbemühungen des theoretischen Vokabulars der literaturtheoretischen Schulen.

Im konkreten Vollzug nun bestimmt Kohlroß für die Praxis der Interpretation des Literaturwissenschaftlers im Anschluss an Davidsons Handlungsschema der »radikalen Interpretation« (263) folgende Begründungsformen als wesentlich: a) das Sammeln des Belegmaterials der kulturellen Kontexte des Textes als situative Bedeutungsbedingungen; b) die Ergründung der sprachinternen Bedeutungsbedingungen des Textes, um beide in Hypothesen über die Bedeutungsbedingungen des Werkes fließen zu lassen.

3. Kritik

Man muss Christian Kohlroß Respekt und Anerkennung für seine in großen Teilen überzeugende Analyse aussprechen, welche die epistemische Begründungslage der Literaturwissenschaft auf neue Füße zu stellen sucht. Sein systematischer Versuch, diese Neufundierung der fachinternen Wissensmöglichkeiten sowohl aus den Defiziten vorliegender Begründungsformationen als auch aus den (aus Kohlroß’ Sicht) plausibleren pragmatistischen Letztbegründungsangeboten abzuleiten, beeindruckt vor allem in seiner Geschlossenheit und Stringenz, mit der nicht nur kritisiert, sondern im Gestus »bestimmter Negation« ein Angebot unterbreitet wird, das nachvollziehbar aus den Krisenmomenten des literaturwissenschaftlichen Theorieprofils hervorgehen soll. Dabei produziert allerdings diese Zielgerichtetheit das zentrale Problem des ersten Teils: die korrekte und angemessene Beurteilung der diskutierten Theorieangebote leidet manchmal (mehr bei Hermeneutik, Strukturalismus und Poststrukturalismus, weniger in den bewusstseinsphilosophischen Paradigmen und überhaupt nicht im Glanzstück, der Erörterung der Psychoanalyse) an der teleologischen Orientierung, unter deren allzu kompakter Zurichtung einige Komplexitätsverluste in der angemessenen Beschreibung zu beklagen sind. Diese Probleme sind aber dem Kompromiss aus Einzeldarstellung und Gesamtthese geschuldet und können letztlich nur besser oder schlechter gelöst, aber nie völlig ausgeräumt werden.

Systematisch gesehen – und auf diesem literaturtheoretischen Angebot liegt in jedem Fall der Akut – muss der philosophische Kenntnisreichtum der Arbeit wie auch die begriffliche Genauigkeit, mit der sowohl kritisch analysiert wie explikativ vorschlagen wird, deutlich herausgestellt werden: Dieses Buch wird dazu angetan sein, die literaturwissenschaftliche Grundlagentheorie um eine im deutschsprachigen Raum originelle und ernstzunehmende Alternative zu bereichern und dabei hoffentlich Anschlussdiskussionen ermöglichen. Kohlroß liefert gute Gründe dafür, sich mit der – in Deutschland als literaturtheoretisches Profil zu wenig beachteten – pragmatistischen Philosophie in Bezug auf den Begriff von und das Wissen über Literatur intensiver auseinanderzusetzen, als das bisher geschehen ist. In dieser Hinsicht seien dem insgesamt hervorragenden Werk aus meiner Sicht folgende kurze Fragen und Bemerkungen mitgegeben:

  1. Kohlroß’ Erweiterung des Bedeutungsbegriffes durch die Empirisierung bzw. Naturalisie­rung von Bedeutung betont sowohl das zeitliche Geschehen der Bedeutung als auch deren somatisch-präsentische, un- bzw. vorsprachliche Geschehensqualität – analog zur gegenwärtigen Diskussion um Reichweite und Funktion hermeneutischer bzw. semiotischer Erklärungsmuster. Für die unhintergehbare Sprachlichkeit der Literatur jedoch ist der Verweis auf somatische Bedeutungs­vollzüge höchstens metaphorisch von Belang: Alle Präsenzphänomene literarischer Rede müssen als Effekte sprachlicher und damit zeichenhafter Vergegenwärtigung begriffen werden. Dies scheint mir in Kohlroß’ literaturbezogener Bedeutungstheorie insgesamt zu wenig beachtet.

  2. So nachvollziehbar auch die Müdigkeit an der literaturwissenschaftlichen, scheinbar endlosen Theoriedynamik ist, die Kohlroß’ Buch wiederholt äußert (vgl. u.a. 268-270), um aus ihr Konsequenzen zu ziehen – es stellt sich die Frage, ob ein Heraustreten aus dieser mittels des pragmatistischen Lösungsangebotes wirklich eine Überbietung oder doch nicht vielmehr eine Unterbietung des sachbezogenen Komplexitätslevels darstellt, welches sich eben in der unhintergehbaren Paradigmenpluralität äußert. Nur wenn man die wechselseitige kritische Kommentierung der Paradigmen bzw. Methodenangebote als Ausdruck eines unlösbaren Problems versteht, wird man dazu geführt, den Ausweg monistisch und in einem singulären Zugriff zu sehen. Dabei geht allerdings verloren, dass der Gegenstand »Literatur« gerade in der gebrochenen Distanz wie multiperspektivischen Abschattung der verschiedenen Theorieobjektive möglicherweise in komplexerer Weise eingefangen werden kann, als das die – in sich stringente und wohlbegründete – pragmatistische Variante zu leisten vermag. Gerade die vielfältigen Brüche zwischen Wissenschaft und Gegenstand, durch welche die methodischen Formulare bestimmt sind, dürften auch als vernünftiger Ausdruck eines nur in derart indirekten bzw. vermittelten Bezugnahmen konstituierten Gegenstandes gesehen werden, den so trotzdem kein sprachfernes oder gar transzendentes »An sich« vom Bereich seiner Erfassung trennt.

  3. Kohlroß’ Vorschlag, im Rahmen des Zusammenschlusses von Subjekt- und Metasprache die Interpretation auf die Angabe der Bedingungen der Bedeutung der Objektsprache und damit in einen Zustand des potentialis zurückzufahren, scheint mir gerade die Möglichkeit des literarischen Werkes, seine Bedeutungen erst im Verstehenszugriff hervorzubringen (und so auch die Bedingungen dieser Bedeutungen angebbar zu machen), abzuschneiden. Denn gerade im Vollzug des ästhetischen Verstehens als konstantem Versuch, dem dichten Bedeutungsgeschehen des literarischen Werkes begrifflich ordnend beizukommen, stellt sich die spezifisch Weise des Darüber-Hinausragens der poetischen Bedeutung ein, die deshalb nicht einfach als Unverständlichkeit – und schon gar nicht als Unbegrifflichkeit gefasst werden kann. Diese spezifische Dynamik poetischer Bedeutungsbildung, die gerade aus dem Hiatus von »literarischer Form« und »gedanklichem Inhalt« entsteht (der deshalb nicht wie bei Kohlroß aufgehoben werden darf), ist nur sinnvoll aus umfassenderen Bedeutungsformationen des poetischen Werkes heraus zu verstehen, welche nicht an der Satzgrenze Halt machen. Ein dafür notwendiger Begriff der »inneren Form« des literarischen Werkes fehlt bei Kohlroß: deshalb ist für ihn diese Dimension poetischer Rede nicht recht greifbar.

  4. Zuletzt möchte ich noch eine Lanze für die Stellung der »Theorie« brechen: Wer das »Ende der Theorie« ausruft, hat vergessen, aus welchem Geist ihr Anfang sich speiste. Die Einheit von Interpretation und Literaturtheorie, durch welche das Nachdenken über Literatur auf den konkreten Akt der Einzelwerklektüre und deren Horizont beschränkt wird, verzichtet auf den Überschuss theoretischer Abstraktion und Autonomie. Diese theoretische Abstraktion beinhaltet eben nicht nur eine Vereinseitigung von »Welt« (256f.), sondern gerade in ihrer metatheoretischen Spezialterminologie oft ein surplus an Differenziertheit und in ihrer Gesamtanlage eine Anreicherung des Konkreten, die dann im Weg der Lektüre in die Bedeutungsnetze der literarischen Werke zurückfließen und dort als je eigene des Bedeutungspotentials des Werkes zu zünden vermögen – aber nur über den Umweg ihrer begrifflichen und stets unzureichenden Abstraktion.

Es ist ein Verdienst der klaren und deutlichen Schreibweise dieses Buches, derartige Einwände und Bemerkungen anbringen zu dürfen. Sie mindern nicht den Wert dieser Arbeit, erfolgen sie doch aus einem Theorieprofil heraus, welches die Kohlroß’sche Argumentation unter dem Stichwort »Hermeneutik« ebenso kritisiert hat; hierauf wiederum unvermeidlich metatheoretische Perspektiven einzunehmen, darf und muss die literaturtheoretische Forschung sich herausnehmen. So gesehen, ist auch mit diesem Buch das »Ende der Theorie« noch nicht in Sicht; es liefert jedoch gute Gründe, sich mit der Ankündigung bzw. Konstatierung dieses Endes ernsthaft auseinanderzusetzen.

Jan Urbich, M.A.

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Institut für Germanistische Literaturwissenschaft

2009-03-06

JLTonline ISSN 1862-8990

This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and JLTonline.

For other permission, please contact JLTonline.

How to cite this item:

Jan Urbich, Theorie nach dem Ende der Theorie. (Review of: Christian Kohlroß, Literaturtheorie und Pragmatismus oder Die Frage nach den Gründen des philologischen Wissens, Tübingen: Niemeyer 2007.)

In: JLTonline (06.03.2009)

URL: http://www.jltonline.de/index.php/reviews/article/view/34/154

A Persistent Identifier can be found in the PDF-Version of this article.